: Komplizierte Fluchtvehikel
Gemütliches Kochen fällt dank leeren Kühlschranks aus, der Kater wird ins Telefonbuch eingetragen. Die neue Generation der Krimiheldinnen ist eigen und liebenswert, aber selten liebenswürdig. Auf die Hilfe von Männern können die Erbinnen von Miss Marple gerne verzichten, tun es aber nicht immer – etwa wenn sie kochen. Lösen tun sie ihre Fälle dennoch, irgendwie und mit der Hilfe ihrer Freunde. Ermächtigung nennt dies die Krimispezialistin Evelyne Keitel. Und Frauenkrimis finden reißenden Absatz. Eie Leseprobe ■ Von Sylvia Meise
Eve, was liest du denn da für einen Schund?“ Genüßlich zitiert Evelyne Keitel ihre Freundin, die mit Kuchen und Wein kam, um die Grippe vertreiben zu helfen. Nun mußte sie, die Professorin für Amerikanistik, Farbe bekennen: Ja, sie ist eine leidenschaftliche Krimileserin.
Zur Rechtfertigung der Sucht bekam die Freundin einen Abriß über Geschichte, Funktion und Inhalte der Gattung Kriminalliteratur zu hören. Verblüfft empfahl diese: „Schreib doch drüber.“ Das tat Evelyne Keitel. Daraus wurde ein Krimihandbuch mit ausführlicher, wissenschaftlicher Literaturangabe, aus dem man viel über Frauenkrimis erfährt.
Früher, räumt Evelyne Keitel während einer Lesung ein, habe sie die Krimis nach dem Lesen sofort weggeworfen oder verschenkt. So was stelle man sich doch nicht in den Bücherschrank.
Aber die Branche boomt mit jährlich tausend neuen Titeln allein auf dem deutschen Markt. Kinder brauchen Märchen und Erwachsene Geschichten, glaubt Evelyne Keitel. Doch richtige page turners – Krimis, bei denen die Seiten nur so durchzischen – erweckten ein peinlich kindisches Tausendundeinenachtsyndrom: Möge es nie aufhören. Der Schlüssel zum Erfolg von Serien, wie sie Verleger mögen.
Anfang dieses Jahrhunderts, im ersten goldenen Krimizeitalter, schob man Frauenkrimis mit dem zweifelhaften Prädikat cozy unters Sofakissen. Frauen als Detektivinnen? Undenkbar. Miss Marple war da eine Ausnahme und ist es bis heute – nur die Bibel und Shakespeare verkaufen sich besser.
Jetzt, so scheint es, ist Platz für starke Frauen. Anfang der Achtziger haben sie Einzug in die Krimis gehalten. Marcia Muller schuf die Serienheldin Sharon McCone und wurde damit zur Mutter aller hartgesottenen Privatdetektivinnen. Fünf Jahre später löste Sara Paretskys Privatdetektivin V. I. (Vic) Warshawski ihren ersten Fall, Linda Barnes schickte Carlotta Carlyle aus, und viele andere folgten.
In der weiblichen Variante, sagt Evelyne Keitel, „ist die Detektivfigur greifbarer, menschlicher – und wesentlich sympathischer“. Am ungewöhnlichen Alltag der Heldin könne die Leserin ihren eigenen messen.
Etwa Vic Warshawski. Sie ist italienischer Abstammung. Ihre halbjüdische Mutter starb, als sie fünfzehn war. Ein beinharter Arbeitsstil trägt ihr jede Menge Blessuren ein und weckt hin und wieder auch väterliche Instinkte bei Männern. „Ich brauche keinen Schutz“, wird einer davon angeschnauzt. Schließlich ist sie Detektivin und kann auf sich selbst aufpassen. Ihr Büro hat sie in einem häßlichen Hochhaus im Süden Chicagos, die Slums, das Stadtgefängnis, die Peepshows und die schäbigen Bars gleich um die Ecke. Sie trinkt Black Label Whiskey. Gemütliches Kochen fällt meist dank leerem Kühlschrank aus. Also muß sie regelmäßig joggen und essen gehen, damit sie fit bleibt. Murray, ihr Kumpel von der Zeitung, trifft sie in ihrer Stammkneipe, von der sie einmal im Monat die Rechnung erhält. Vic kleidet sich sorgfältig. Auftritt, je nach Anlaß, in Seidenbluse, Georgette-Anzug, Ballkleid oder Jeans. Sie steht auf „Magli“-Pumps – für nächtliche Aktionen nicht immer die besten Fluchtvehikel.
Oder Carlotta Carlyle. Sie ist schlagfertig, hat eine jüdische Großmutter, mit deren Weisheiten fast jeder Band beginnt, und einen Kater, mit dem sie eine Abmachung getroffen hat: Er, Tomas C. Carlyle alias Tom Cat, ist es, „der sich furchtlos und mit vollem Namen ins Telefonbuch hat eintragen lassen und die schweratmenden Typen fernhält“, die ja gerne abgekürzte Vornamen anrufen. Wenn sie zuwenig Aufträge hat, fährt sie Taxi. Zu ihren näheren Freunden gehören die Adoptivschwester Paola, die immer in irgendwelche Schlamassel gerät, ihr Geliebter Sam Gianelli, Sohn des regionalen Mafiabosses, und Roz, Freundin, Untermieterin, Putzfrau und gelegentliche Assistentin in einer Person. Wenn Roz in ihrem normalen Outfit auftaucht, rechnet niemand mit Spionage – grelle Klamotten und noch schrillere Frisuren sind ihre natürliche Maske. Leider ist sie auch fürs Einkaufen zuständig, was das Frühstück von Carlotta bisweilen auf Cracker mit Erdnußcreme beschränkt.
Oder Sharon McCone. Sie lebt mit einem Seidenpapagei und zwei Katzen zusammen. Die beiden letzteren vergreifen sich gern am Kunstprodukt mit Federn, was zu schweren häuslichen Spannungen führt. Ihr Neffe und Assistent heißt Mick und ist laut einer professionellen Informantin, mit der Sharon zusammenarbeitet, „süß wie ein Läusearsch“. Mick beherrscht den Computer, mit dem Sharon leider wenig anfangen kann. Aber auch der süße Mick macht Fehler. Der Draht zwischen beiden reißt mehrfach ab, weil das Handy ausgeschaltet oder dessen Batterie leer ist. Ihre Freundin Adah ist Polizistin und ihr Freund Hy ein Traummann, um den sie beneidet wird – er kann kochen. Außerhalb von San Francisco haben die beiden ein Haus am Fluß. Jeden Dienstag schickt er ihr eine Rose ins Büro und knattert im Zweifelsfall mit dem Motorflieger an, seine Geliebte aus der Bredouille zu holen. Es kann aber auch umgekehrt kommen, wie in „Ein wilder und einsamer Ort“, da rettet Sharon ihren fiebernden Freund.
Aber nicht nur professionelle Schnüfflerinnen finden Leichen und Mörder in Serienkrimis.
Zu denen, die aus privatem Antrieb immer wieder auf die Suche gehen, gehören die Sozialarbeiterin Bo Bradley, leicht verrückt und nicht gerade gertenschlank, und die Heldin von Joan Hess, Claire Malloy, die sich mit den mäßigen Einnahmen ihres Buchladens und ihrer pubertierenden Tochter herumschlägt. Anstrengend, nervtötend, geldverschlingend wären drei passende Attribute für die Erziehungsarbeit.
Auch eine unkonventionelle Heldinnen, die nicht in Serie gegangen ist: Die Bauchtanzlehrerin Laura Rose stolpert in München über eine Leiche. Laura ist lesbisch. Lesbenkrimis gehören zu dem, was Evelyne Keitel „Verständigungstexte“ nennt. Man kann das auch als Trockenübungen bezeichnen – die Frauen zeigen, wie sie ihr unkonventionelles Leben in einen normalen Alltag einpassen und was sie unter einer Beziehung verstehen.
Was alle Schnüfflerinnen auszeichnet: Sie dürfen Fehler machen, Angst haben, ihre Großmütter zitieren und, wenn sie eine Runde verloren haben, in einem langen, heißen Bad nachdenken. Bisweilen waten sie knietief in Fettnäpfen und haben vielleicht nichts in der Hand als „so ein Gefühl“.
Lange Zeit haben abgebrühte Helden wie Marlowe aus den hard-boiled-Krimis der dreißiger Jahre die Szene dominiert. Ihr Markenzeichen (die das Vorbild der neuen Frauen sind): Whiskey und Einsamkeit. Die starken Frauen des neuen Krimizeitalters sind ein bunter Haufen, aber einsam sind sie nicht. Freunde und Freundinnen helfen mit, Verdächtige zu überwachen, geheimnisvolle Unterlagen zu finden und letztendlich auch die Mörder zu überführen. Vic Warshawski etwa hat einen Freund bei der Zeitung. Er recherchiert für sie und hält im Zweifelsfall – für eine gute Story natürlich – auch mal die eigene Haut ins Sperrfeuer. Lotty Herschel ist Vics Freundin und Ärztin: „Zuweilen hat Lotty den Charme eines Dosenöffners – aber sie ist mir eine echte Stütze. Ich sehe klarer, wenn ich mit ihr rede.“ Zusätzlich hat sie, genau wie Carlotta, einen alten Freund bei der Polizei.
Wer greift zum „Frauenkrimi“? Echten Krimikonsumentinnen ist egal, was draufsteht – Hauptsache innen spannend. Den Stempel „Frauenkrimi“ könnten die Verlage sich da sparen. Hat uns der Buchhandel erhört? Seit ein paar Monaten schon tragen Marcia Mullers Romane nicht mehr das Frauenlabel und sind in die „allgemeine Unterhaltung“ gewandert. Regelrecht abschreckend wirkt der Hinweis auf Männer. Evelyne Keitels Lebensgefährte rührt nicht einen ihrer „Weiberkrimis“ an. Obwohl sich unter KrimileserInnen gleich viel Männer wie Frauen befinden, griffen Männer doch eher nach Texten, deren Helden und Struktur männlich geprägt seien, bilanziert die Amerikanistin, die als Professorin schon mal ihre Studenten zum Testlesen verdonnert.
Evelyne Keitel nutzt ihre Lesungen, deren Zuhörer sich drei zu eins aus Frauen und Männern zusammensetzen, zu Umfragen: Was gefällt uns an den neuen Geschichten und was nicht? Eine gesteht, die hanebüchenen Szenen – in denen die Heldinnen Bösewichter gleich dutzendweise niedermähen, aus ungünstigster Position, halb über Bord hängend oder am Abgrund eines Wolkenkratzers – überschlage sie, das sei ihr doch zu blöde und unglaubwürdig. „Finde ich nicht“, da ist wieder Eve mit ihrem Schund, „weibliche Leser sagen, McCone ermutige sie. Außerdem ist's doch schön, wenn sie mal nicht das Opfer ist“ – und nennt's Ermächtigungsstrategien.
Da bangt man doch gern schweißgebadet mit Sharon, 6.500 Fuß hoch, ob sie es wohl schafft, das Flugzeug, sich selbst, ihren kranken Freund und das zurückgekidnappte Mädchen sicher wieder zur Erde zu bringen. Sie schafft es, und ihr Freund Hy quittiert dies mit der Bemerkung: „McCone, das war die mieseste Landung, die du je hingelegt hast, und jede Sekunde war mir ein Fest.“
Sylvia Meise, 37, freie Journalistin aus Frankfurt, schreibt vor allem über Frauenthemen.
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