: Nie wieder zurück in den Kalten Krieg
Rußland und die USA finden Übereinstimmung. Beide Länder wollen wieder über eine Begrenzung der strategischen Waffen sprechen. Der Weltwährungsfonds gibt Finanzhilfe frei ■ Aus Washington Peter Tautfest
Sergej Stepaschin, der vierte russische Premierminister in zwei Jahren, trat am Ende seines dreitägigen Amerikabesuchs mit einem entspannt lächelnden Al Gore vor die Kameras, um zu verkünden, daß nichts die beiden Länder „in den Kalten Krieg zurückwerfen werde“. Gleichwohl war der größte Teil des Gesprächs zwischen Stepaschin und dem US-Vizepräsidenten dem Erbe des Kalten Kriegs gewidmet. Es ging um START und ABM sowie um die gegenseitige Spionage. START steht für Strategic Arms Reduction Talks (Rüstungsbeschränkung), und Stepaschin kündigte an, er wolle mit Gesprächen zu einem START III beginnen, obwohl die russische Duma bisher nicht einmal START II ratifiziert hat, das die Begrenzung strategischer Waffen auf maximal 3.500 atomare Sprengköpfe bis zum Jahr 2003 vorsieht. Der amerikanische Senat hat den Vertrag bereits vor sechs Jahren ratifiziert. Die USA möchten ihrerseits den 1973 ausgehandelten ABM-Vertrag, der die Entwicklung von Antiraketenwaffen verbietet, neu verhandeln, weil sie von einer wachsenden Bedrohung durch die Raketenentwicklung solcher Staaten wie Korea, Iran, Irak und Libyen ausgehen. Rußland hatte bisher jeden Versuch einer Raketenverteidigung als Verletzung des ABM-Vertrages interpretiert, doch Stepaschin räumte ein, daß es eine ernste Gefahr von „komplexen, schwierigen, engen und nur schwer zu kontrollierenden Nationen“ gibt. Was die gegenseitige Spionage anbelangte, konzedierte Al Gore, daß die aufgeblähten Geheimdienstapparate ein Eigengewicht besäßen und daß sie in ihren Kompetenzen beschränkt werden müßten.
Trotz der guten Atmosphäre zwischen Stepaschin und Al Gore blieben die meisten bilateralen Probleme ungelöst. Bei einem Lunch mit der nationalen Presse kritisierte Stepaschin die Absicht der USA, keinen Pfennig Wiederaufbauhilfe an Serbien zu zahlen, solange Miloševic im Amt sei.
Rußland möchte zudem mehr als die ausgehandelte Quote von 16 Satelliten für amerikanische Firmen in den Himmel schießen. Firmen wie Lockheed Martin würden die preisgünstigen Dienste der russischen Raumfahrtindustrie gerne häufiger in Anspruch nehmen, und Rußland, das pro Raketenabschuß 100 Millionen Dollar verdient, würde seine Deviseneinnahmen gerne erhöhen. Clinton aber will eine Ausweitung des lukrativen Geschäfts von russischer Kooperation abhängig machen: Rußland soll die Weitergabe von Raketen- und Nukleartechnologie an den Iran unterbinden. Stepaschins Besuch diente auch der Werbung um Investitionen und fand nicht zufällig am Vorabend einer Tagung des Weltwährungsfonds statt, der gestern 4,5 Milliarden Dollar als Tranche eines eingefrorenen 20-Milliarden-Kredits zur Stützung von Rußlands maroden Staatsfinanzen freigab. Rußland konnte die Inflationsrate von 80 auf 50 Prozent senken, den Haushalt ausgleichen und die Steuereinnahmen verbessern.
Stepaschins Besuch markiert im Ergebnis die Überwindung einer tiefen russisch-amerikanischen Krise. Sein Vorgänger Jewgeni Primakow war noch im März auf halbem Weg über den Atlantik umgekehrt, als US-Vizepräsident Al Gore ihn über Funk informiert hatte, daß die Nato Jugoslawien bombardieren werde.
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