piwik no script img

Die „Pentiti“ sind keine reuigen Sünder

Obwohl Italiens Kronzeugen einen ansehnlichen Check für ihren Lebensunterhalt beziehen, mögen sie von ihrem Ganovenleben nicht lassen. Sie benutzen sogar Polizei und Staatsapparat, um ihre Schutzgelder zu erpressen  ■   Aus Rom Werner Raith

An ihrem Nutzen gab und gibt es noch immer kaum Zweifel, und die Justiz wird nicht müde zu betonen, dass die Erfolge gegen Mafia und Terrorismus zum großen Teil ihnen zu verdanken sind – doch der Unmut gegenüber den „Pentiti“, den Kronzeugen der italienischen Justiz, wächst; mitunter gar in hysterischer Weise: „Einfangen und auf einsame Inseln bei Wasser und Brot“ war vergangene Woche noch eine der milderen Forderungen beim Begräbnis eines Juweliers nahe Mailand, der bei einem Raubüberfall unter Beteilung eines angeblich ausgestiegenen Verbrechers erschossen worden war.

Mehr als 1.200 „Pentiti“ – wörtlich „Reuige“, Italiens Hauptbegriff für „Kronzeugen“ oder auch „Kollaborateure der Justiz“ – weisen Italiens Statistiken derzeit aus: Personen, die angeblich ihrer Vergangenheit in mafiosen oder terroristischen Banden abgeschworen haben und die dafür, je nach „Wichtigkeit“ ihrer Aussagen, bis zu zwei Drittel Strafnachlass erhalten, wobei nach einer längeren U-Haft oft der Rest auch noch zur Bewährung ausgesetzt wird. Einmal als „Pentito“ anerkannt, erhalten die Ex-Gangster einen monatlichen Scheck, der angesichts der oft vielköpfigen Familie mancher Mafiosi schon mal umgerechnet 20.000 DM und mehr betragen kann. Das soll die Versuchung zu neuen Straftaten einschränken.

Tatsächlich freilich führen sich derzeit viele „Pentiti“ nicht gerade wie die Musterknaben auf. Schon vor drei Jahren hat es einen ansehnlichen Skandal gegeben: Da war ein aus der Cosa Nostra ausgestiegener Boss, nachdem er trotz zahlreicher Morde aufgrund des „Kronzeugengesetzes“ lediglich Hausarrest verbüßen musste, heimlich nach Sizilien zurückgekehrt und hatte zwei vormalige Gegner ermordet, weil die versuchten, seine frühere Bande zu „übernehmen“. Die für die Überwachung der Zeugen zuständigen Behörden gelobten eine effizientere Kontrolle gelobt, und bald war Gras über die Sache gewachsen.

Nun kommt es auf einmal wieder knüppeldick: Gleich ein Dutzend aus Sizilien und Kalabrien nach Norditalien „umgesiedelter“ Ex-Mafiosi wurden in den letzten Wochen wieder einkassiert, weil sie entweder den Meldeauflagen nicht gefolgt oder gar bei neuen Strafttaten ertappt worden waren.

Auch in Gela, Innersizilien, stellte eine angeblicher Aussteiger erneut eine Schutzgeldbande auf und kassierte in gewohnter Weise bei den Geschäftsleuten ab – diesmal, statt mit der Kalaschnikow mit dem Hinweis, dass er „den ganzen Polizeiapparat zur Verfügung“ habe, um dem Ladenbesitzer „eine Menge Ungelegenheiten zu bereiten“.

In Terracina, Mittelitalien, versuchte es ein sizilianischer „Pentito“ ebenfalls mit Erpressung, stellte dabei aber nicht in Rechnung, dass die lokalen Firmenchefs an derlei nicht gewöhnt sind und noch zur Polizei gehen – weshalb der „Reuige“ nun wirklich bereut, denn er wurde bereits beim ersten Versuch mit zwei von ihm angelernten Novizen verhaftet.

In Rom fiel gleich eine ganze Sippschaft vorgeblich geläuterter Mafiosi in die Hände der Polizei, als sie einen Stadtteil unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten.

So werden die Stimmen immer lauter, die eine radikale Abkehr von der bisher gängigen „Kronzeugenregelung“ fordern. Diese führt – aufgrund der Strafnachlass-Staffelung gemäß der „Wichtigkeit“ der Aussagen automatisch dazu, dass gerade die skrupellosesten Mörder und Bandenbosse die größten „Skonti“ einstreichen konnten, weil sie eben die „wichtigsten“ Dinge wussten. Dass sie auch dauerhaft von ihrem bisherigen, oft Jahrzehnte ausgeübten Beruf ablassen würden, war freilich höchst unsicher: Bewährungshilfe und die Kontrolle der Lebensführung wurden nur nachlässig oder gar nicht durchgeführt. Manch einem gelang es gar, das ihm zustehende „Gehalt“ praktisch zu „kapitalisieren“: So strich ein „Pentito“ mehr als eine halbe Million Mark als „einmalige Zahlung ohne weitere Ansprüche“ auf einen Schlag ein – um danach erneut Forderungen zu stellen, weil er noch zusätzliche Aussagen machen könne.

Wie genau eine sinnvolle Änderung des Kronzeugengesetzes aussehen könnte, darüber herrscht freilich Uneinigkeit. Angesichts überquellender Gefängisse – die knapp 29.000 Plätze sind mit mehr als 40.000 Personen weit überbelegt – sucht Italiens Justiz bereits seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten einer Entlastung und ist froh um jeden, den man entlassen kann; tatsächlich sitzen nicht einmal mehr 20 Prozent aller Verurteilten ihre Gefängnisstrafe ab. Die zusätzliche Belastung mit Mafia-Aussteigern, die besonders geschützt werden müssen, lehnen nahezu alle Gefängnisdirektoren ab.

Die Regierung hofft, dass sich nun doch etwas ändert. Zum neuen Oberaufseher über die italienischen Gefängnisse, wurde der bisherige Leiter der Antimafia-Staatsanwaltschaft Palermo, Gian Carlo Caselli, ernannt. Er gilt als einer der erfolgreichsten Mafia-Jäger aller Zeiten und hatte besonders viele Bosse zum Seitenwechsel überredet. Wenn einer, so die Rechnung der Regierung, dann kann nur er die Frage mit den „Aussteigern“ lösen.

Wenn nicht – macht auch nichts. Denn da er ja nun nicht mehr hinter den Bossen herermittelt, ist zu erwarten, dass künftig auch weniger von ihnen eingesperrt und noch weniger zu schützenswerten „Pentiti“ werden.

In der Hauptstadt Rom fiel gleich eine ganze Sippschaft vorgeblich reuiger Mafiosi in die Hände der Polizei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen