: Der Schütze, der nicht in den Panzer wollte
Über den Totalverweigerer Christof Haug verhängte das Amtsgericht vor einem Jahr die härteste Strafe seit der Einführung der Wehrpflicht in Berlin. Jetzt hat das Landgericht das Urteil abgemildert ■ Von Andreas Spannbauer
Christof Haug stand bereits mit einem Bein im Knast. Eine Haftstrafe von elf Monaten ohne Bewährung hatte das Amtsgericht Tiergarten im vergangenen Jahr gegen den totalen Kriegsdienstverweigerer verhängt. Das Landgericht Berlin hat nun dieses härteste Urteil seit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Berlin in einer Berufungsverhandlung am Dienstag in eine Bewährungsstrafe abgemildert.
Zur Musterung sollte Christof Haug schon 1990. Sechsmal lud ihn das Kreiswehrersatzamt damals vor, stets erfolglos. Schließlich erhielt er ohne ärztliche Untersuchung seine Einberufung zur Bundeswehr. Haug legte Widerspruch ein und erklärte in seiner Kriegsdienstverweigerungserklärung, er halte die Wehrpflicht für verfassungsfeindlich. Das Verwaltungsgericht Stuttgart – Haug stammt aus Baden-Württemberg – wollte darin keine ausreichende Darstellung von Gewissensgründen sehen.
Schließlich sollte der damalige Student der Erziehungswissenschaften im Januar 1996 den Grundwehrdienst antreten. Haug aber ließ sich nicht blicken. Das Betrugsdezernat des Landeskriminalamtes Berlin ermittelte wegen Wehrentziehung. Erst im September jenes Jahres nahmen Feldjäger den Fahnenflüchtigen in Süddeutschland fest.
Schneller als gedacht stand Haug plötzlich auf dem Hof der Kaserne im schleswig-holsteinischen Eutin, wo er jeglichen Befehl verweigerte. „Beim Gespräch über seine Motive haben wir schnell gemerkt, dass wir auf keinen Nenner kommen werden“, erinnert sich Bundeswehrhauptmann Stefan Fritsche, der damals für die Arrestierung des Verweigerers zuständig war.
Seine Haltung brachte dem „Panzerschützen Haug“ insgesamt 53 Tage Bunker ein. Schließlich erteilte die Bundeswehr dem unwilligen Rekruten ein Dienstverbot und untersagte ihm, künftig die Kaserne zu betreten. Im Juni vergangenen Jahres verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Totalverweigerer dann wegen Fahnenflucht und dreimaliger Befehlsverweigerung. Haug, so bestätigte das Gericht damals, sei „kein irregeleiteter Mitläufer“, seine Tat sei „in einem besonderen Maße dem eigenen Verhalten zuzuschreiben“. Bewährung hatten die Richter abgelehnt, um andere Soldaten von der Nachahmung seines Verhaltens abzuschrecken.
In der Berufungsverhandlung verteidigte Haug seine Entscheidung: „Das verfassungsmäßig Erträgliche ist mit der Wehrpflicht weit überschritten.“ Der Wehrpflichtige müsse seinen Wohnsitz verlegen, sogar Selbstverstümmelung werde gemäß dem Wehrstrafgesetz mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. „Um Freiheitsrechte zu verteidigen, werden Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt“, berief sich Haug, der im Pflegebereich arbeitet, auf das im Grundgesetz verankerte „Widerstandsrecht“. Auch verstoße die Wehrpflicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zudem argumentierte Haug mit einer Entscheidung des Potsdamer Landgerichts, das im März die Wehrpflicht als verfassungswidrig angesehen und das Bundesverfassungsgericht angerufen hatte. Eine Entscheidung steht noch aus.
Rechtsanwalt Jörg Czech wies außerdem darauf hin, dass selbst nach Aussagen von Bundeswehrangehörigen ohnehin längst nicht mehr jeder zum Wehrdienst eingezogen werde. „Eine Wehrgerechtigkeit gibt es nicht mehr.“ Im Falle des Angeklagten hätte die Behörde daher in einer Ermessensentscheidung auf die Einberufung verzichten müssen. Wegen der veränderten Sicherheitslage stelle die Wehrpflicht einen nicht länger erforderlichen Eingriff in die Grundrechte dar.
Das Landgericht folgte dieser Argumentation nicht. Der Vorsitzende Richter erkannte auf eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ausschlaggebend für die Bewährungsfrist war die soziale Einstellung des Angeklagten. Wegen der Berufung auf das Grundgesetz sei der in erster Instanz gemachte Vorwurf „tiefgreifender Rechtsfeindlichkeit“ des Angeklagten nicht aufrecht zu erhalten. Strafverteidiger Czech kündigte unterdessen eine erneute Revision vor dem Kammergericht an: „Wir bleiben der Überzeugung, dass die Wehrpflicht verfassungsfeindlich ist.“
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