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Humboldt, erstickt unter Informationen

Die gerade nach Bonn umziehende Ausstellung „Alexander von Humboldt“ wird schlecht präsentiert. Von Humboldts pädagogischem Faible ist nichts zu spüren. Der Vielsprachler wird allein in Deutsch vorgestellt    ■ Von Katrin Bettina Müller und Christian Füller

Berlin (taz) – „Wie gerne möchte ich nur einmal Humboldten erzählen hören“, seufzt Ottilie in Goethes „Wahlverwandtschaften“. Alexander von Humboldt (1769 bis 1859), der einzige Zeitgenosse, den Goethe für Wert befand, namentlich in den „Wahlverwandtschaften“ aufzutreten, war hier zu Lande der erste wirklich gute Erzähler, Popularisierer von Wissenschaft. Seine lange, ertragreiche Südamerikareise bringt er in Pariser Salons unters Publikum. Später liest er in Berlin nicht nur an der Universität, sondern auch an der Singakademie – fürs gemeine Volk. Im elitären Preußen gelingt es Humboldt, Zuhörer zu faszinieren, die vom Arbeiter bis zur Hofgesellschaft reichten.

Pädagogischer Eros

Von diesem pädagogischen Eros, das Humboldt antrieb, ist ausgerechnet in der ihm gewidmeten großen Ausstellung „Alexander von Humboldt – Netzwerke des Wissens“ allzu wenig spüren. Die Exposition zum 200-jährigen Jubiläum seiner fünfjährigen Forschungsreise durch Amerika wird gerade im Berliner Haus der Kulturen abmontiert. Es ist zu hoffen, dass ihre Fortsetzung in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn dem Publikum mit mehr Liebe dargeboten wird. Vieles schimmerte in Berlin bloß nostalgisch, ohne den gemeinen Museumsbesucher die Aufregung nachempfinden zu lassen, mit der Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland die Urwälder duchstreiften.

Helfen soll Ulrich Wickert, der ganz im Stil der multimedial eingespielten „Tagesthemen“ den historischen Kontext moderiert. Das Publikum drängt sich bald vor den Fernsehern, um von der Einführung der Reifeprüfung an Berliner Schulen, dem 1. Jahrestag des Sturms auf die Bastille oder dem erbitterten Streit zwischen Neptunisten und Plutonisten zu hören. Doch der Bezug zwischen Humboldt und der Französischen Revolution bleibt blass: Der 24-Jährige hatte sie mit eigenen Augen erlebt und sie zum Angelpunkt seiner Forschungen und seiner Publikationsstrategie gemacht.

Ratlos wenden sich die Besucher der Humboldt-Ausstellung den Exponaten zu, die nicht einmal den Mindeststandards von Hängung und Beschriftung gerecht werden. „Mensch, da braucht man ja eine Lupe“, seufzt nicht nur eine Besucherin angesichts der kleingedruckten und unter Sichthöhe platzierten Erläuterungen. Ohne sie aber gehen die wichtigen Zitate aus Humboldts Tagebüchern für den Besucher verloren. Ohne sie bleibt die schmale Pirogge, mit der Humboldt den Orinoko befuhr, nur romantische Bildwelt – wird Distanz zum Ausgestellten gar nicht erst erzeugt. Erst aus den Kommentaren aber setzt sich der Forscher und der Mensch Humboldt zusammen, der nicht nur auf fast allen Wissensgebieten seiner Zeit eine kaum übersehbare Fülle von Material zusammentrug, sondern diese auch in ihren sozialen und ökonomischen Kontext stellte.

Beinahe ein Affront gegen Alexander von Humboldt ist die ausschließliche Ausstellungssprache Deutsch. Zwar sind die Leittexte der Ausstellung auf einem Faltblatt ins Englische und Spanische übertragen, die konkreten Geschichten der Zeugnisse aber nicht. Kein Wunder, dass sich viele der spanischsprachigen Besucher in einer Pause an der kolumbianischen Kaffeetheke ins Gespräch stürzen. Bei Humboldt, von dem Zeitgenossen berichten, er habe während des Gesprächs oft mehrfach die Sprache gewechselt, wäre solch ungastliche Sprachenarmut nicht vorgekommen. Schon gar nicht an jenem Ort Berlins, der eigentlich prototypisch für die Vielsprachigkeit der Stadt steht: das Haus der Kulturen der Welt.

Schließlich zeigen Fotocollagen im Foyer Humboldts ungebrochene Popularität in der spanischsprachigen Welt Lateinamerikas. Da gibt es den Multiservizio Humboldt und das Club-House Humboldt, Apotheken, Bäckereien, Kinos, Autowerkstätten, Zahnkliniken und Schokoladen tragen seinen Namen. Diese Bildergeschichten erzählen mehr über die fulminante Rezeption des abenteuerlustigen Forschers in Südamerika als jede wissenschaftliche Ehrung. Dennoch ist in der Ausstellung der Anspruch, Lateinamerika nicht länger nur als Objekt der Forschung, sondern auch als erzählendes Subjekt mit einzubeziehen, nur halbherzig umgesetzt. Es fehlt ein Perspektivenwechsel, der Humboldts heutigen Stellenwert in Lateinamerika beleuchten würde. In Caracas stellte die Humboldt-Ausstellung des Goethe-Instituts den romantischen Landschaften, die auf den Spuren des Wissenschaftlers reisende Maler Anfang des 19. Jahrhunderts schufen, Arbeiten neuer Künstler entgegen, die nicht mehr von der unberührten Natur erzählen, sondern von der zerstörerischen Wirkung der Zivilisation. Ein solches Kontrastmittel, das die Distanz zu den historischen Hoffnungen der Aufklärung verdeutlicht, fehlt in der hiesigen Schau.

Ein Mangel, der kennzeichnend ist für große kulturhistorische Programme, die in ihrer Finanzierung auf eine breite Kooperation staatlicher Träger angewiesen sind und deshalb oft repräsentative Aufgaben mit kunsthistorischer Opulenz und vielfältiger Wissensvermittlung unter einen Hut zu bringen suchen. Sie ersticken den Besucher fast in einer kleinteiligen Informationsfülle, die vielen den Atem nimmt, Bilder und Zeugnisse selber lesen zu lernen.

Von Humboldt lernen

Nur hier scheinen die Ausstellungsmacher Kai Reschke und Frank Holl von Humboldt gelernt zu haben – im Schlechten. „Humboldt las gewöhnlich vor, oft stundenlang. Eine Lebensbeschreibung von einem französischen Gelehrten [...], die keinen als ihn interessierte“, spottete Otto von Bismarck über Humboldts Auftritt bei einer Abendgesellschaft am Hofe. Weder König Friedrich Wilhelm IV. noch seine Gemahlin, schon gar nicht die anwesenden jungen Leute hätten zugehört: Sein Vortrag „murmelte, ohne abzureißen, fort wie ein Bach“. Aber das war Mitte des letzten Jahrhunderts. Und Alexander von Humboldt ein bald 90-jähriger Greis. „Netzwerke des Wissens“. Ab 14. 9. bis 9. 1. 2000 in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn. Katalog 35 DM.

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