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Wo die Vulkanesen leb(t)en

■ Ein Buch des Temmen-Verlags widmet sich jetzt dem Stadtteil in Bremens Norden

Den Vulkan kennt jeder, aber wo bitte schön ist Fähr-Lobbendorf? Der Temmen-Verlag hat dem Ortsteil von Vegesack, auf dem die Reste der traditionsreichen Werft und die Wohnungen der ehemaligen Arbeiter stehen, ein Buch gewidmet: „Fähr-Lobbendorf. Leben und Arbeiten im Zentrum des Bremer Nordens.“ 21 Aufsätze haben die Herausgeber Hartmut Müller und Jürgen Hartwig in dem Stadtteil zusammengetragen – entstanden ist ein Kaleidoskop des Gebietes, das ohne die Werft so nicht entstanden wäre, in dem aber sehr wohl immer schon ein Leben außerhalb der Werft stattfand.

Die Herausgeber haben sich bei ihrer Themenauswahl an den Errungenschaften des traditionell sozialdemokratisch geprägten Stadtteils abgearbeitet: Wohnungsbaugenossenschaften – Kindergarten – Werftengeschichte – Krankenhaus – Kirche – Vereine. Die Autoren sind zum großen Teil Aktivisten der jeweiligen Institutionen. Spannend neben den Institutions-Chroniken ist aber vor allem der historische Teil: Vom Jahr 1139, als das Dörfchen Lobbendorf erstmals urkundlich erwähnt wurde, spannt sich der Bogen bis zum Untergang der Werft.

Zum Beispiel das: Erst 1939 wurde Fähr-Lobbendorf bremisch. Mit einem Federstrich hatte Hitler die Gemeinde Aumund aus dem Land Preußen, Provinz Hannover, ausgegliedert und der Hansestadt zugeschlagen: Die Kriegsmarine hatte ihr dringendes Interesse an einer Eingemeindung angemeldet. Ein Jahr später betrug der Rüstungsanteil beim Vulkan 75 Prozent, 1942 waren es 100 Prozent der Produktion. Fähr-Lobbendorf wurde zum Ziel der Bomben und erlebte am 18. März 1943 den schlimmsten Angriff, bei dem 116 Menschen starben und 113 verletzt wurden.

Auch Persönliches ist in dem 200-Seiten-Werk zu finden: Der heutige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Detmar Leo wurde als Kind morgens von der Werftsirene geweckt. Er erinnert sich: „Es war immer das gleiche Ritual. Um spätestens viertel vor Sieben verließen mein Vater und mein Onkel, die Angestellte auf der Werft waren, unser Haus. Wie viele Vulkanesen trugen sei beide eine dunkelbraune Aktentasche, in der sich unter anderem ein ovaler Henkeltopf mit dem Frühstück und dem Mittagessen befand.“ Das Größte für den elfjährigen Detmar: Einmal nahm ihn sein Onkel auf eine Probefahrt eines neuen Schiffes mit. cd

Hartmut Müller/Jürgen Hartwig (Herausgeber): „Fähr-Lobbendorf. Leben und Arbeiten im Zentrum des Bremer Nordens.“ Edition Temmen, 1997, 39,90 Mark, 202 Seiten mit 170 Abbildungen.

Ein Bilderband „Vegesack 1860 - 1945“ von Uwe Ramlow im gleichen Verlag ist 1998 erschienen.

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