: So sind wir
Ein Blick auf die Fernsehspiele und die Krimis der Bundesrepublik sagt über die Entwicklung der Gesellschaft mehr als manch soziologische Studie ■ Von Klaudia Brunst
Sollte jemand in fünfzig Jahren eine Ausstellung „100 Jahre Bundesrepublik“ planen, wird das Fernsehen dabei sein müssen. In der Abteilung „Die Neunzigerjahre“ würde man vielleicht noch einmal die „Beerdigung von Lady Di“ zeigen und „Wetten, dass ...?“. Vielleicht stöbert ja auch jemand die einzig wahre Familienserie „Fußbroichs“ auf. Was würde man noch zeigen müssen? Die coole Krimiflut der Prime-Time? Dominik Grafs Thriller „Skorpion“ als Nachweis für die pharmazeutisch entfremdete Speedkultur der Neunziger? Oder Stefan Raabs „TV Total“, gewissermaßen als verfilmte Meta-Ebene des gegenwärtigen Fernsehschaffens?
Was die ersten fünf Jahrzehnte angeht, hat man sich in Berlin schon an ein solches Vorhaben gemacht. „Bildschirmwirklichkeit Bundesrepublik“ heißt eine Reihe, die derzeit im Rahmen der „Fünfzig Jahre BRD“-Ausstellung „Einigkeit und Recht und Freiheit“ in Berlin zu sehen ist. Konsequent beschränkte sich der ehemalige WDR-Redakteur Martin Wiebel, von dem die Idee stammt, auf jene Stücke, die sich explizit mit der bundesdeutschen gesellschaftlichen Realität auseinandersetzen. Trotzdem fiel die Auswahl angesichts der Fülle des Materials nicht leicht. Nun ist ein ausführlicher Begleitband zur Schau erschienen, der sich selbst dann aufregend liest, wenn man die behandelten Stücke gar nicht kennt.
So entsteht z. B. anlässlich des ARD-Films „Besuch aus der Zone“ (1958) ein schönes Dreieck der Dokumente: Dieter Meichsner erinnert sich an die Geschichte seines kontrovers diskutierten deutsch-deutschen Fernsehspiels, das sogar eine Debatte im Bundestag nach sich zog: „Auf dem Hintergrund einer ganz, ganz dürftigen Spielhandlung“, übte sich der CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann in angewandter Fernsehkritik, „werden hier so genannte westdeutsche Kapitalisten gezeigt, die ihre Erfolge einem angeblichen Patentraub aus der SBZ verdanken. Und es wird so dargestellt, als sei es hier üblich, Geschäftsabschlüsse ausschließlich in Schlemmerlokalen vonstatten gehen zu lassen.“
Dafür argumentierte der damals noch als TV-Kritiker tätige Oswalt Kolle in der B.Z. zuförderst politisch: „So sind wir!“ stimmte Kolle dem Gestus des Fernsehspiels enthusiastisch zu, „wenn die Millionen am Fernsehschirm das begriffen haben, dann hat das Stück seine Schuldigkeit getan“.
Da entschlüsselt sich, was die Fernsehspielgeschichte von ARD und ZDF auszeichnet: Mit dem Bewusstsein für die Breitenwirkung des Fernsehens entstand in den Redaktionenen schon früh ein expliziter politischer Gestaltungswille. Weil Fernsehen billiger als Kino produziert werden musste (und muss!), konnte es immerhin schneller reagieren: So nah wie möglich an der bundesrepublikanischen Gegenwart sollten deshalb die Fernsehspiele ihre Geschichten erzählen. Man adaptierte Politskandale und drehte mit versteckter Kamera, experimentierte und debattierte. Dabei war es den Machern selbstverständlich, dass eine fiktionale (und zuweilen deutlich spürbare didaktische) Verdichtung nötig war, damit die alltagsnahe Fiktion im Alltag auch ansehnlich war.
Vergleicht man diese Haltung mit den derzeit so gelobten Doku-Soaps, die es beim bloßen Abfilmen der Wirklichkeit bewenden lassen, wird noch einmal deutlich, von welch wuchtigem sozialkritischem Anspruch die Macher damals beseelt waren
Modische Ästhetik soll oft die Kritik ersetzen
Die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Vorgängen sei heute eben schwieriger geworden, wenden manche ein, weil alle Sozialdemokratie schon verfilmt und die Wirklichkeit sowieso nicht mehr für alle die gleiche sei. Es scheint, als habe man sich achselzuckend auf eine mediale Parallelwelt verständigt, in der nach Telegenitätsprinzipien gecastete Fahrschülerinnen vor laufender Kamera den Führerschein machen oder ein Frankfurter Klinikum mit echten Patienten die „Schwarzwaldklinik“ simuliert.
Seit das Kino zuhauf im Fernsehen stattfindet, haben sich zudem auch im Pantoffelkino cineastische Sehgewohnheiten etabliert. Im modernen TV-Movie herrschen sie nun oft über die Plausibilität der Erzählung. Man will uns glauben machen, üppige Ausstattung, distanzlose Kamera und rasanter Schnitt seien schon eine Aussage an sich.
Dennoch: Oswalt Kolles „So sind wir!“ ist bis heute eine Konstante des Mediums geblieben. In wechselnden Stilen erzählt das Fernsehen den Fernsehenden immer wieder, was von der Wirklichkeit ringsrum zu halten sei. Kaum ein Thema, das sich in Wiebels Schau nicht wiederfindet: Von der Vergangenheitsbewältigung (Egon Monks KZ-Film „Ein Tag“) bis zum seinerzeit vom Bayrischen Rundfunk zensierten Homosexuellenfilm „Die Konsequenz“; von Rainer Werner Fassbinders Arbeiterfamilienserie „Acht Stunden sind kein Tag“ bis zu Rainer Erlers minuziös die Katastrophenplanung der Regierung nachstellenden Film „Smog“.
Und wenn sich auch derzeit allzu viele TV-Movies leichten Herzens mit der Bespielung einer klischeehaft überästhetisierten Freiberuflerszene begnügen: Dass es eine Renaissance der Inhalte geben wird, ist längst abzusehen.
Und doch kommt das kritische Fernsehspiel wieder
Die Thriller im Kinoformat, wie sie Pro 7 noch zeigt, sind auf die Dauer nicht zu finanzieren. Die Kindesmissbrauchsdramen von RTL mag längst niemand mehr sehen. Und selbst die Zeit der Beziehungskomödien ist vorbei.
Noch tarnt sich die Zeitkritik im Krimi: Es gibt den Thriller über das Gladbecker Geiseldrama oder die Räuberpistole nach dem Fall des Kaufhauserpressers Dagobert.
Auf öffentlich-rechtlicher Seite konnten die ARD-Programmverantwortlichen zu ihrer eigenen Verblüffung bereits feststellen, dass es immer noch ein interessiertes Publikum für politische Fernsehspiele gibt: Ihre RAF-Geschichte „Todesspiel“ fand enormes Zuschauerinteresse. Und das ZDF knüpft gerade mit einer Fortsetzung an Dieter Wedels Häuslebauer-Lehrstück „Einmal im Leben“ an.
Die Privatsender sind noch zu jung, um in ihrer eigenen Geschichte Anschluss zu finden. Um so bemerkenswerter ist die Lust, sich immer wieder mit dem eigenen Medium (sozial)kritisch auseinanderzusetzen: etwa in dem Talk-Show-Thriller „Sandmann“, einer Produktion von RTL 2. Oder die „Stunde des Löwen“, wo es um die zynische Welt des Affektfernsehens ging, ein Pro 7-Film. Somit erzählen uns beide Systeme in ihren Fernsehspielen immer noch gern, was uns die öffentlich-rechtlichen TV-Spiele seit Beginn des bundesrepublikanischen Fernsehens sagen wollten: So sind wir!
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