piwik no script img

■  „Momper? Den hatten wir doch schon!“ Wenige Wochen vor der Wahl am 10. Oktober ist in Berlin die Hoffnung auf eine Ablösung der Großen Koalition verflogen. SPD-Kandidat Walter Momper ist nicht der erhoffte Champion, und an Rot-Grün glaubt kaum noch jemandLieber Schokolade als Schwarzbrot

Wahlkampf kann bitter sein. In dieser Woche zogen die Berliner Sozialdemokraten durch die Stadt, um das Konterfei ihres Spitzenkandidaten zu plakatieren – Slogan: „Um Arbeit muss sich der Chef kümmern.“ Doch die Passanten waren wenig amüsiert. „Momper?“ knurrte einer, „den hatten wir doch schon!“ In den Umfragen für die Wahl am 10. Oktober liegt die Hauptstadt-SPD, die heute Abend mit Kanzler Schröder ihren Wahlkampfauftakt zelebriert, derzeit bei 21 Prozent. Noch im Januar war die SPD mit 37 Prozent stärkste Partei.

Enttäuscht und entsetzt schauen die Sozialdemokraten auf den Mann, der die Partei nach neun Jahren von der verhassten Großen Koalition erlösen sollte: Walter Momper, der Regierende Bürgermeister des rot-grünen Senats 1989/90. Der „Mann mit dem roten Schal“, der über sich hinaus wuchs, als die Mauer fiel. Was hatte man sich von dem Spitzenkandidaten nicht alles erhofft: Momper galt als Gewinnertyp, als einer, der polarisiert.

Anfang des Jahres schaffte der 54-Jährige, den die Wähler 1990 in die Wüste geschickt hatten, das Comeback: In einer parteiinternen Urwahl setzte er sich als Spitzenkandidat deutlich gegen Fraktionschef Klaus Böger durch. Die Genossen an der Basis glaubten, Momper könne überzeugender für Rot-Grün kämpfen, weil er keine Funktion in der Großen Koalition inne habe. Außerdem hofften sie, er werde wegen seiner Beliebtheit im Ostteil der Stadt der PDS Stimmen abjagen.

Kaum jemand hat die Erwartungen so gründlich enttäuscht wie Momper. Nach seinem Sieg bei der Urwahl verschwand er erst einmal in der Versenkung. „Wo bleibt Momper?“, fragten sich die Genossen. Demoskopen warnten schon kurz nach der Urwahl, dass Momper nicht beliebt sei in der Stadt. Der Spitzenkandidat drohe die Partei nach unten zu ziehen. Eine Sympathiekampagne für Momper, wie sie junge Genossen anregten, blieb jedoch aus.

Auch in den folgenden Monaten gelang es Momper nicht, an sein altes Image anzuknüpfen. Dass der Kandidat dem Tagesgeschäft fern stand, erwies sich nicht als Vorteil, sondern als Nachteil. Nach zwei Wahlperioden im politischen Vorruhestand erweckten Mompers Auftritte Anfangs oft den Eindruck, als sei er nicht auf dem letzten Stand der Dinge.

Obendrein lieferte der Kandidat statt der erhofften starken Worte nur bittere Wahrheiten. Gegen den „Schokoladen-Wahlkampf“ der Hauptstadt-CDU, die ihre Wähler mit Wohltaten ködert, will Momper nichts als „Schwarzbrot“ setzen. Auch der Hoffnung mancher Genossen, er werde in der Schlussphase des Wahlkampfs noch zu alter Form zurückfinden, erteilte Momper eine klare Absage: „Wer von mir erwartet, dass ich im Wahlkampf zu holzen beginne, den muss ich enttäuschen.“

An das offizielle Wahlziel der SPD, einen rot-grünen Senat, glaubt in der Partei kaum noch jemand. „Galgenhumor macht sich breit“, beschreibt ein Genosse die Stimmung. Wenn Journalisten und Politiker über die neue Zusammensetzung des Senats spekulieren, setzen sie eine Fortsetzung der Großen Koalition schon als selbstverständlich voraus.

Die Misere der SPD geht allerdings nicht allein auf Mompers Konto. Auch das schlechte Erscheinungsbild der rot-grünen Bundesregierung vermasselt den Genossen den Wahlkampf. Die Wechselstimmung, die noch im Januar die Stadt bestimmt hatte, ist verflogen. Nun drohen die schlechten Werte für die SPD zu einer Prophezeiung zu werden, die sich selbst erfüllt. Kein Genosse wirbt noch offensiv für ein rot-grünes Bündnis.

Die CDU hingegen hat ihr Tief nach der Bundestagswahl, als die Partei alle Berliner Wahlkreise verlor, längst überwunden. Damals schien es, als erleide Diepgen das Schicksal Helmut Kohls: Seit 15 Jahren amtiert der Christdemokrat mit nur zweijähriger Unterbrechung durch den Momper-Senat als Regierender Bürgermeister. Der Amtsinhaber wirkte lange Zeit müde und verbraucht. Inzwischen aber sieht nicht Diepgen alt aus, sondern sein Herausforderer Momper. Frühzeitig haben die CDU-Strategen Diepgens Imageproblem erkannt und schon zu Jahresbeginn mit einer jugendfrischen Kampagne gegengesteuert. Auf Wahlplakaten joggte der Bürgermeister dem Kinokassenschlager „Lola rennt“ hinterher – Slogan: „Diepgen rennt“. Dass Regisseur Tom Tykwer die Vereinnahmung gerichtlich untersagen ließ, kam der Union nur gelegen. Tagelang beherrschte die Kampagne die Schlagzeilen in der Lokalpresse.

CDU-Kultursenator Peter Radunski – einst Wahlkampfmanager von Helmut Kohl – hat dafür gesorgt, dass junge Kreative in Diepgens Wahlkampfteam das Sagen haben. Die Kampagne wird hauptsächlich von einer privaten PR-Agentur außerhalb der CDU-Zentrale konzipiert. Als populäres Werbemittel dient der Hauptstadt-Union ein Jogging-Schuh, den sie auf den Vornamen des Bürgermeisters taufte: „ebi“.

Jüngster Coup der CDU-Strategen: Gestern hieß Diepgen Außenminister Joschka Fischer in Berlin willkommen und überreichte ihm zur Begrüßung, von Jogger zu Jogger, ein Paar „ebi“-Schuhe. Diepgen hoffte wohl, mit der Geste vom dynamischen Image des früheren Turnschuhministers zu profitieren.

Anfangs lächelten die Auguren über den Versuch, den drögen Diepgen dynamisch zu drapieren. Doch die persönlichen Sympathiewerte von Diepgen, der sich als überparteilicher Moderator der Großen Koalition präsentiert, kletterten auf zuletzt 52 Prozent. Momper hingegen, der sich von seinen Beratern nur zum Kauf einer neuen Brille bewegen ließ, rutschte auf magere 13 Prozent ab.

Ganz entspannt konnte der christdemokratische Regierungschef daher am Montag den SPD-Kanzler in der Stadt willkommen heißen. Die Schreibtische der beiden stehen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. „Wir müssen es“, sagte Diepgen beim Anschneiden der Begrüßungstorte, „wahrscheinlich als Nachbarn noch ein Weilchen miteinander aushalten.“ Ralph Bollmann, Dorothee Winden, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen