: Erst abgewatscht, dann aufgepäppelt
■ Der Kanzler stellt sich öffentlich hinter Fraktionschef Peter Struck. Nur, keiner mag glauben, dass die beiden sich verstehen. Die Vokabeln „Machtwort“ oder „Zusammenfalten“ will Schröder gar nicht kennen
Berlin (taz) – Der Mann, der Deutschland am liebsten regiert, indem er mit der Faust auf den Tisch haut, mimte gestern den Unbedarften. Eine Vokabel wie „Machtwort“ sei ihm „ganz und gar fremd“, verkündete demonstrativ grinsend Gerhard Schröder vor den Türen der SPD-Fraktion im Berliner Reichstag. Halb hinter ihm, halb neben ihm stand das jüngste Opfer des Machtwort-Kanzlers und war kaum zu sehen: Peter Struck. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hatte Grund, sich klein zu machen. Auf 4,5 Millionen Bild-Exemplaren war er gestern in wenig ansehnlicher Form zu sehen: Die Titelseite zeigte ein zerknittertes Foto von Strucks Haupt, Schlagzeile „Schröder faltet Struck zusammen!“ Der Bild-Leser Gerhard Schröder sah sich darob zum Schulterschluss genötigt – auch von „Zusammenfalten“ verstehe er nichts. Die Zusammenarbeit sei gut.
Anlass für Schröders Besuch im Reichstag war die Sitzung der sozialdemokratischen Abgeordneten, die gestern dem Sparpaket ihrer Regierung zustimmen sollten. Doch was die Teilnehmer mehr bewegte, war der jüngste Ausbruch des Bundeskanzlers – so es ihn denn gegeben hat. In der Kabinettssitzung einen Tag zuvor, so erzählten Teilnehmer der Ministerrunde in unterschiedlich farbiger Ausschmückung, habe Schröder den Fraktionschef abgewatscht. Struck habe einen „schweren Fehler“ gemacht, zitierten anonyme Quellen den Kanzler, die Arbeit des Fraktionsvorsitzenden sei eine „Katastrophe“. Prompt dementierte ein Regierungssprecher. Unbestritten ist allerdings in Koalitionskreisen, dass Peter Struck dem Kanzler seinen Berliner Amtsantritt versaut hat. Nachdem Schröder sich am Wochenende demonstrativ machtvoll aus dem Urlaub zurückgemeldet hatte, sollte es nach seinem Willen ein Ende mit den parteiinternen Querelen haben. Doch kaum war das Sparpaket verschnürt, begann Struck von neuem an den Knoten zu zerren. „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist“, sagte er am Dienstag. Weil Schröder die Seinen zum Standhalten um jeden Preis verdonnert hatte, wertete er Strucks Äußerung offenbar als Zugeständnis an die Traditionalisten in Partei und Fraktion. Ganz unbegründet ist der Eindruck nicht. Inzwischen haben rund dreißig Abgeordnete ein Papier des SPD-Gewerkschaftsflügels unterschrieben. Schröder wird vorgeworfen, den Eindruck zu erwecken, „es gebe eine Rückkehr zu den Grundsätzen der Politik von Helmut Kohl“.
„Wichtig ist, dass Peter Struck und ich gut zusammenarbeiten“, sagte Schröder gestern vor der Fraktionssitzung. So formuliert, klang es eher nach einem Wunsch als nach einer Feststellung. Patrik Schwarz
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