■ Kommentar: Kein grüner Aufbruch Bei den Grünen geht es zu wie bei der SPD im Ruhrgebiet
Die Ansprüche der Grünen an sich selbst sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Da treffen sich 18 eher ältere Parteifunktionäre zu einem so genannten Strategietreffen in Berlin und 50 eher jüngere Parteifunktionäre zu einem so genannten Strategietreffen in Leipzig – schon kriegt sich die Parteichefin nicht mehr ein. Gunda Röstel spricht euphorisch von einem „Zeichen für die Modernisierung“ der Grünen. Und das bloß, weil sich die beiden Selbstfindungsgruppen ausnahmsweise nicht nach dem heiligen grünen Organisationsprinzip Fundirealomannfrauostwest zusammengefunden haben. Wahrscheinlich hält es Gunda Röstel sogar für wahnsinnig mutig, dass die selbst ernannten Parteistrategen Joschka Fischer nicht eingeladen haben.
Vielleicht muss man so anspruchslos sein, um die beiden Strategietreffen für einen Erfolg an sich zu halten. Vielleicht muss man aber auch einfach nur Mitglied der Grünen sein und darunter leiden, dass die ewigen Flügelkämpfe die Partei mittlerweile fast vollständig lähmen. Von außen betrachtet haben die grünen Erneuerungsbemühungen nichts von einem Aufbruch. Zum siebenundneunzigsten Mal treffen sich grüne Parteifunktionäre, wälzen zum siebenundneunzigsten Mal die gleichen Probleme, debattieren die gleichen Strukturen, schreiben die gleichen Papiere. Das hat den gleichen Charme wie ein Parteitag der Sozialdemokraten im Ruhrgebiet.
Die Grünen müssen ihren alten Flügelstreit überwinden, heißt eine der Forderungen vom Wochenende, sie müssen eine Bürgerrechtspartei werden, sie müssen weg von ihrem Miesmacher-Image, sie müssen nachdenken, vordenken – das ist alles richtig. Und langweilig. Wie will man mit solchen grünen Ladenhütern die Partei erneuern, schon gar neue Wähler gewinnen? Natürlich ist es notwendig, dass die Grünen sich darüber klar werden, was sie noch zusammenhält und was sie von anderen unterscheidet. Schließlich hat selten eine Partei, kaum, dass sie in der Regierung saß, so schnell und rücksichtslos eigene Grundsätze relativiert oder über Bord geworfen. Aber vielleicht riskieren die Grünen einfach mal wieder was? Ein ordentlicher Koalitionskrach mit der SPD wegen deren Atompolitik oder eine schwarz-grüne Koalition im Saarland dürfte der Partei mehr Leben einhauchen als ein paar Strategietreffen. Jens König
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