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Die Schulhofsattraktion

■ Bei immer mehr Kindern von alleinerziehenden Müttern fehlt die männliche Bezugsperson / Auch im Unterricht: Grundschulen haben fast nur Frauen im Kollegium

Manchmal sind Männer Mangelware. Zu Hause, wenn den Kindern der Vater fehlt. Und dann auch in der Grundschule, wo es kaum Lehrer gibt. „Wie Motten das Licht“, sagt der Schulpsychologe Walter Rukita, suchten die Kinder dann nach einer männlichen Bezugsperson.

An der Grundschule an der Stader Straße unterrichten derzeit 17 Frauen und ein Mann. Der eine Lehrer sei zuweilen schon eine Attraktion auf dem Schulhof, erzählt die Leiterin Christa Bauer. Vor allem für die Jungs sei der einzige männliche Lehrer wichtig: „Die hängen sich richtig an ihn an“, erzählt Bauer. Immer wieder suchen die Kids Körper-Kontakt – ganz besonders bei dem männlichen Kollegen, meint die Leiterin.

Denn bei 30 bis 40 Prozent der Kinder an ihrer Grundschule fehle schon zu Hause der „Bezug zu Männern“, schätzt Christa Bauer. Diese Kinder wachsen bei alleinerziehenden Müttern auf, mit gar keinen oder wechselnden männlichen Bezugspersonen. Das Defizit an Vorbildfunktion zu Hause kann auch die Grundschule mit vorwiegend weiblichen Lehrkräften nicht auffangen. Die wenigen männlichen Grundschullehrer sind darum bei den Kids heiß begehrt.

Die Erfahrung hat auch Andrea Hartmann, Lehrerin an der Stichnathstraße gemacht. Ihre Kollegen werden oft ganz anders begrüßt. Viel häufiger als bei Lehrerinnen springen die Kinder begeistert an ihnen hoch, suchen Anschluss. Da merke man emotionale Defizite, sagt Hartmann. Und zwar ganz deutlich.

Die Lehrer sind deshalb so begehrt, weil die Kinder Erfahrung suchen: Wie ist der? Und was macht er, wenn ich lieb oder böse bin? Die wollen wissen, wie sich ein Mann verhält, erklärt Schulpsychologe Walter Rukita.

„Die einzigen Männer in der Grundschule sind ja oft Schulleiter und Konrektoren“, sagt Lehrerin Andrea Hartmann. Und auch die wären oft einfach schon alt. Da entstehe leicht ein Großvaterbild. Auch um gegen die Aggression mancher Kids anzukommen, sei ein Mann von Vorteil, sagt Schulleiterin Bauer. „Unser Kollegium ist schon älter“, berichtet sie. Manchmal komme man den kleinen Übeltätern gar nicht so schnell hinterher, wie man müsste.

Für die Schulpsychologen birgt diese „schiefe Situation“ an den Grundschulen arge Probleme. Denn hier komme es vor allem auf Beziehung an, nicht nur auf pure Wissensvermittlung. Die Folge des Vater- und Lehrermangels in den ersten zehn Lebensjahren: Wichtige Entwicklungen in der Sozialisation bleiben aus. Ein Problem, das die Schulpsychologen wohl noch die nächsten zehn bis 20 Jahre verfolgen wird, glaubt Rukita. Vor allem, wenn die älteren Leiter bald aus dem Schuldienst scheiden. Und männlicher Nachwuchs nicht in Sicht ist.

Denn wenn es keine Vaterfigur gibt, an denen sich die Jungs abarbeiten können, suchen sie sich eine – zur Not im Fernsehen, erklärt Walter Rustika. Und das wären nicht zu selten die falschen: „Machotypen, die ganz alten Klischees“, sagt der Schulpsychologe. Und das berge möglicherweise schon die nächsten Probleme: Gewalt und Aggression.

An der Grundschule Stader Straße ist jetzt eine Stelle frei geworden. Gerne hätte Christa Bauer einen neuen Kollegen gehabt. Dann hätte sich die Situation dort etwas entspannt.

Selbst SPD-Bildungssenator Willi Lemke wollte sich darum bemühen, dass die Stelle von einem Mann besetzt wird. Auch die Gleichstellungsbeauftragte wollte beide Augen zudrücken, erklärte Lemke der taz. Aber selbst das hat nichts genützt. Für die gewünschten Fächer Mathe, Musik und Sport mit Primarstufenausbildung war kein Lehrer in Sicht. Am vergangenen Mittwoch fiel die Entscheidung: Im November kommt eine neue Kollegin an die Stader Straße.

Die Quote an der Grundschule Stichnathstraße sei dagegen richtig „top „, sagt Lehrerin Andrea Hartmann. Unter insgesamt rund 30 KollegInnen waren bislang drei Lehrer, ein Schulleiter und ein Referendar. Aber der Referendar konnte nicht übernommen werden. Der gehe nach Niedersachsen. Quoten- und altersmäßig sei das einfach „schade“.

Das fast reine Frauen-Kollegium an der Grundschule an der Stader Straße ist kein Einzelfall. Seitdem die Orientierungsstufe in den 70ern aus der Grundschule abgezogen wurde, seien männliche Lehrer selten geworden, erzählt Christa Bauer. Vorher, in der Volksschule war das Männer-Frauen-Verhältnis „noch Halbe-Halbe.“ Viel verändern wird sich in Zukunft allerdings nicht. Der Nachwuchs an den Unis, der sich für das Lehramtsstudium Primarstufe eingeschrieben hat, ist zum großen Teil immer noch weiblich: An der Uni Bremen kommen sieben Studentinnen auf einen Studenten. Tendenz gleichbleibend. Auch von den 110 Referendaren im Primarstufenbereich im Land Bremen sind 95 Frauen, so die aktuellen Zahlen aus dem Landesinstitut für Schule. pipe

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