: Reinhard Weimar darf schweigen
■ Im dritten Prozess gegen Monika Böttcher wird ein wichtiger Zeuge fehlen. Der geschiedene Ehemann ist laut Amtsarzt vernehmungsunfähig
Frankfurt/Main (taz) – Bei der Suche nach der Wahrheit über die Hintergründe des vor 13 Jahren begangenen Doppelmordes an den Kindern Karola (5) und Melanie (7) Weimar muss das Landgericht in Frankfurt auf einen wichtigen Zeugen verzichten. Reinhard Weimar, der geschiedene Ehemann der Angeklagten Monika Böttcher, wird nicht vor dem Gericht aussagen. Wie ein Amtsarzt jetzt bestätigt hat, leidet Reinhard Weimar unter einer chronischen Psychose. Er hat mehrere Selbstmordversuche unternommen und sei, so der Arzt, „dauerhaft reise- und vernehmungsunfähig“.
So bleibt dem Gericht als wichtigste Quelle nur die Aussage der Mutter, die am gestrigen zweiten Verhandlungstag noch einmal die Ereignisse in der Mordnacht vom 3. auf den 4. August 1986 schilderte, so wie sie sich noch daran erinnern kann oder will. Dabei wird sich das Gericht auf die Suche nach einem Motiv konzentrieren. War die Sehnsucht der damals 28jährigen Monika Weimar nach einem neuen Lebensanfang mit dem US-Soldaten Kevin Pratt so stark, dass sie sich dafür ihrer beiden Töchter entledigen wollte? Kaum vorstellbar, auch heute noch, wenn man diese verhuscht wie eine graue Maus auf der Anklagebank sitzende Frau sieht.
Am Tag vor dem Tod der Kinder war Monika Weimar noch mit den beiden Mädchen schwimmen, dann hat sie sie nach Hause gefahren und sie ihrem Mann anvertraut, bevor sie sich wieder mit ihrem Geliebten traf. Hätte nicht der geprellte Ehemann, dem das Ende der Beziehung schmerzhaft vor Augen stand, das viel „bessere Motiv“ gehabt?
Die wenigen handfesten Fakten sind aus den beiden vorhergegangenen Prozessen hinlänglich bekannt: Die Kinder sind in Tageskleidung aufgefunden worden, in ihrem Magen fanden sich Speisereste aus Weizen und Milch, in der Windschutzscheibe des Weimarschen Passat klaffte ein Sprung. Daraus folgerte das Gericht in Fulda vor 13 Jahren: Melanie und Karola waren am Morgen des 4. August noch am Leben, hatten gefrühstückt und wurden von ihrer Mutter im Auto getötet, wobei sie sich so wehrten, dass der Schaden an der Scheibe entstand.
Monika Böttcher hat das immer bestritten. Gestern erklärte sie noch einmal, wie es zu dem Scheibenschaden kam: Sie habe die Nacht zuvor mit Kevin Pratt im Auto geschlafen und sei dabei mit dem Fuß abgerutscht.
Wie schon am ersten Verhandlungstag wiegt Monika Böttcher jedes Wort erst auf ihrer inneren Goldwaage, ehe sie Richter Gehrke antwortet. Ihre beiden Anwälte Strate und Maeffert wittern bei jeder Nachfrage von Richter und Staatsanwalt eine Hinterhältigkeit und greifen ein, „nur um den falschen Zungenschlag zu vermeiden“, sagt Anwalt Strate. Da zeigt sich Monika Böttcher zum ersten Mal selbstbewusst und fällt ihrem Anwalt ins Wort: „Ich werde hier ja gar nicht gefragt.“
Dann, nach der Mittagspause, wird es mäuschenstill im Gerichtssaal. Die Angeklagte spricht über die Nacht, zögerlich, leise und von Weinkrämpfen unterbrochen: Und was sie sagt, klingt auch 13 Jahre danach noch so ungeheuerlich, dass auch dieses Gericht die Schwierigkeit haben wird, das Gesagte einzuordnen: „Als ich in der Nacht kurz vor halb vier nach Hause kam, brannte im Kinderzimmer Licht. Reinhard saß am Bett von Karola, und ich fragte ihn, was er hier macht. Ich fasste Melanie an, schüttelte sie am Arm, und sie bewegte sich nicht. Auch Karola lag in T-Shirts bekleidet im Bett. Ich fasste sie an, aber sie wurde auch nicht mehr wach. (lange Pause) Ich stand hilflos im Kinderzimmer und wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Es ging mir so viel durch den Kopf, ich machte mir Vorwürfe, dass ich sie alleine gelassen habe.“ Später habe ihr Mann die Kinder in den Wald gefahren. Begreifbar ist das alles nicht, aber dennoch vielleicht wahr. Schuldig oder nicht, vielleicht ist das nach 13 Jahren fast egal. Philipp Maußhardt
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