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■ KommentarSpalten statt versöhnen  Die CDU hat nicht gewonnen, Schröder hat verloren

Thüringen und Saarland – strahlende Sieger der CDU. Bernhard Vogel und Peter Müller seien ihre Triumphe gegönnt. Aber Siegertypen sind die beiden nicht, auch wenn die Wahlergebnisse eine konservative Trendwende nahe legen. Thüringens Ministerpräsident Vogel reichte am Sonntag gegenüber der 94er Landtagswahl ein Zuwachs von rund 1.500 CDU-Stimmen, um sich in der Wählergunst von guten 42,3 Prozent in lichte Höhen von 51 Prozent zu schrauben. Und Peter Müller schaffte das Wunder von der Saar gar mit einem Stimmenverlust von 12.000 gegenüber 1994.

Nein, nicht eine Alternative namens CDU pflügt augenblicklich die politische Landschaft um. Es ist der Kanzler Gerhard Schröder höchstpersönlich, der Mehltau über das Land streut, die Gesellschaft mit seinem inhaltsleeren Modernisierungsgerede schnurstracks in die politische Agonie führt. Ein Jahr nach Antritt seiner rot-grünen Bundesregierung erreichen Wahlbeteiligungen historische Tiefstmarken. Und es drängt sich die Frage auf: Wie repräsentativ darf sich eine Demokratie noch nennen, in der nur noch die Hälfte der Bürger wählt?

Die Entwicklung ist dramatisch. Vor allem Jungwähler, Arbeiter und Arbeitslose werden aus den Wahlkabinen gedrängt. Nun könnte man mit dem Zynismus der Neuen Mitte entgegnen: Auf deren strukturkonservative Meinung können wir angesichts der gewaltigen Herausforderungen verzichten, was zählt, ist die Meinung der flexiblen, postmodernen Eliten. Oder: Was soll's, in den USA laufen die Wirtschaftskonjunktur und die Demokratie mit noch geringeren Wahlbeteiligungen wie geschmiert.

Schröder ist weit entfernt vom Format eines Willy Brandt. Jener elektrisierte vor knapp dreißig Jahren mit „Mehr Demokratie wagen“ die Menschen, einigte die Gesellschaft und nahm sie mit auf die Modernisierungsreise. Schröder hingegen spaltet die Gesellschaft. Er hat jenen, die niemals in die Versuchung kommen werden, sich Neue Mitte zu nennen, nichts zu bieten. Nicht einmal die Perspektive auf eine bessere Zukunft. Sie haben nach einem Jahr Rot-Grün erkannt, was hinter der wohlfeilen Rhetorik Schröders steckt: die Fortsetzung der CDU-Politik mit verschärften Mitteln. Ihre Entscheidung ist deshalb höchst rational. Wo es keine Wahl gibt, gibt es keinen Grund zu wählen. Eberhard Seidel

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