: Automänner in der Autowelt
■ Rennwagen, Sportauspuffe und Gitterstoßstangen in acht Messehallen: Heute startet sie durch – die 58. Internationale Automobilausstellung (IAA)
Frankfurt (taz) – Das ist bekannt: Der Kanzler ist ein „Automann“. Er telefoniert gerne mit Ferdinand Piäch (VW) und Jürgen Schrempp (DaimlerChrysler), mit den ganz Großen also. Der Kanzler kommt auch gerne zum Essen: etwa zum italienischen Industriellen Leopoldo Pirelli aufs Schloss. Automann sein macht Spaß. Und es kommt gut in der Autogesellschaft. Dass er auch ein „Automann“ ist, behauptete Reinhard Klimmt im Wahlkampf an der Saar. Besser: „Autoteilemann.“ Denn im Saarland haben sich Autozulieferer niedergelassen. Klimmt wurde zwar abgewählt – doch prompt Verkehrsminister beim „Automann“. Alles Auto. Auch auf der IAA 1999; die 58ste. Autos und Teile in acht Hallen.
Der Fahrer des (tiefer gelegten) Golf mit dem amtlichen Kennzeichen GG – A 156 und riesigen Auspuffrohr ist auch ein Automann. Gerne fährt er kurz vor Mitternacht sein Auto vom Hof auf den Bürgersteig, kurbelt das Fenster runter – und gibt Gas (im Stand). Dann röhrt das Rohr hinten wie der stärkste Hirsch. In der Nachbarschaft gehen die Lichter an. Noch einmal röhrt das Rohr. (Self-)Satisfaction in der Autogesellschaft. Der junge Türke mit Gel im Haar steigt wie betäubt aus.
„Echt geil!“ So lobt der Mann am IAA-Stand von Remus seine Sportauspuffe. Einen technischen Nutzen, sagt er, hätten die nicht. Entscheidend sei „der Sound“. Und im übrigen, sagt der Autoteilemann von MS-Design, seien röhrerende Auspuffrohre keine Lärmquelle, sondern „Tribut an die Autogesellschaft“. Und die sei schließlich „Wirtschaftsmotor“.
Laut ADAC kommt es auf den Autobahnen täglich zu Staus von bis zu 1.000 Kilometern. Statistisch steht jeder dritte Fahrer mindestens einmal täglich im Stau. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die daraus resultieren, erreichen zweistellige Milliardenbeträge, heißt es in einer Presseerklärung des hessischen Wirtschaftsministers Dieter Posch (FDP).
Der natürliche Feind der Autosgesellschaft ist der Stau. „Weniger Stau – mehr Mobilität“, so nennt sich die ADAC/VDA-Initiative in Halle 6. Weil die Autoquote in Deutschland überproportional zum Neu- oder Ausbau von Straßen steigt, müssen intelligente Verkehrsleitsysteme und ein „vernünftiges Baustellenmanagemet“ (Posch) her. Die Autogesellschaft lebt; vom öffentlichen Nahverkehr redet auf der IAA kein Automann.
Die Polizei ist da auf der IAA. Ratschläge will sie geben: für mehr Sicherheit rund um das Auto und zur Unfallvermeidung. Die Automänner hasten vorbei.
Dreifacher Bruch des Sprunggelenks attestierten die Ärzte bei der 48 Jahre alten Frau. Sie war im Regierungsbezirk Darmstadt auf einem „Fußgängerüberweg“ vom Fahrer eines tiefer gelegten BMW angefahren worden: Operation, Klinikaufenthalt, Karriereknick im Job nach drei Monaten Arbeitsunfähigkeit – und bleibende Schäden (10 Prozent). Das Verfahren gegen den geständigen Fahrer wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt: gegen 250 Mark Geldbuße, zu entrichten in zwei Monatsraten.
Der Staatsanwalt – ein Automann. Er hat seine Pflicht getan: in der Autogesellschaft. Damit den Autos bei Kollissionen mit Fußgängern nichts passiert, haben sie Stoßstangen. Die „Offroader“ haben riesige Stoßgitter zum Schutz vor Nashörnernauf dem Weg zu Aldi. Ohne „Offroader“ im Programm geht nichts bei den Giganten der Branche. „Wer keinen hat, hat geloset“, sagt der Automann von Jeep. Und oben auf der Empore über dem Stand glimmt ein künstliches Lagerfeuer. „Die Menschen kaufen unsere Autos, weil die so romantisch sind.“
„Sagen Sie mir bitte, wo in Deutschland kann ich den Viper ausfahren?“ Der Automann von DaimlerChrysler, Abteilungsleiter Technik, zuckt mit den Schultern. „Vielleicht zwischen zwei und drei Uhr auf der Autobahn Mainz – Kaiserslautern.“ Aber nur vielleicht. 384 PS hat der Chrysler Viper GTS. Spitzentempo: 285 km/h. Von 0 auf 100 in viereinhalb Sekunden. Der Automann am Stand weiß, dass es „nur ums Image“ geht. Die Schlage auf Rädern kostet 175.000 Mark. 20 davon verkauft Chrysler im Jahr in Deutschland. Zu viel für den echten Snob? Der Lamborghini Diabolo GT mit 338 km/h Spitze ist exklusiver – und für 550.000 Mark zu haben.
Die Beseitigung des Abfalls neben den Autobahnen, an Böschungen oder auf dem Mittelstreifen kostet alleine in Hessen jedes Jahr die horrende Summe von sieben Millionen Mark. (Hessisches Verkehrsministerium). Auch ein Tribut an die Autogesellschaft.
Klaus-Peter Klingelschmitt
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