■ Die SPD verliert, weil Gerhard Schröder das „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ unter SPD-Führung exekutiert: Das Volk steht links
Ob die SPD vor einem Jahr die Bundestagswahlen gewonnen hat, weil genug WahlbürgerInnen einen Wechsel von rechts nach links wollten oder weil Schröder, Lafontaine & Co. versprochen haben, dass sie alles genauso, nur besser machen werden, können auch Wahlanalysten nicht eindeutig beantworten. Klar ist nur: Der Politikwechsel hat nicht stattgefunden. Von einigen schnellen und überhasteten Dankesgaben an das Wahlvolk abgesehen ist alles beim Alten geblieben. Und dabei leider nicht besser geworden.
Die einzige wirklich hervorstechende „Tat“ der rot-grünen Bundesregierung war der Krieg gegen Jugoslawien, der mit so wenig innerem Widerstand von der Kohl-Regierung nicht hätte geführt werden können. Er hat am linken Rand des WählerInnenpotenzials von SPD und Grünen sicher Stimmen gekostet – und in der Mitte wenig Stimmen gebracht.
Doch die aktuellen Wahlniederlagen bei den Landtags- und Kommunalwahlen und die Unfähigkeit der Grünen, daraus für sich politisches Kapital zu schlagen, hat vorrangig innenpolitische Gründe: Das „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ (Dahrendorf) wird von einer SPD-geführten Bundesregierung selbst exekutiert. Und die Grünen präsentieren sich gerade in sozialpolitischer Hinsicht als eine traditions- und charakterlose Vereinigung politischer Fliegengewichte, die dem nichts, aber auch gar nichts Eigenes entgegenzusetzen haben.
Angesichts des Desasters der SPD-Politik auf Bundesebene wird nun auch schlagartig klar, dass diese Partei auch in den Ländern und Kommunen schon seit langem nichts anderes mehr zu bieten hat als Filz und Klüngel – und Konzepte, die die CDU bisweilen besser „verkauft“. Und die Grünen geraten schon in Siegerlaune, wenn sie nicht wie im Saarland und im Osten in der Belanglosigkeit verschwinden.
Trotz alledem: Das Volk wählt in seiner Enttäuschung über die Rot-Grünen, die sich neuerdings so gern „jenseits von links und rechts“ (Giddens) positionieren, nicht etwa rechts. Es geht vielmehr in relevanten Teilen gar nicht mehr zur Wahl. So erleben wir zur Zeit in Deutschland jene „Krise der Repräsentation“, die – wie wir seit langem aus demokratietheoretischen Debatten wissen – auf Dauer ein ernsthaftes Substanz- und Bestandsrisiko des westlichen Demokratiekonzepts darstellt.
Ob die WählerInnen nun zu Hause bleiben, weil der Politikwechsel nicht stattgefunden hat oder weil „es“ dabei eben nicht, wie versprochen, trotzdem besser geworden ist – in jedem Fall richtet sich der in der massenhaften Wahlverweigerung enthaltene Protest dagegen, dass alles beim Alten geblieben ist. Mit der Konsequenz, dass sich die parlamentarischen Machtverhältnisse noch weiter zu eben diesem „Alten“ hin verschieben. Die interne Bereitschaft der SPD zur Assimilation an die CDU (und der Grünen an die FDP) wird nun auch noch zusätzlich durch den Druck von außen, also via Bundesrat befördert.
Die SPD wollte im letzten Herbst eigentlich viel lieber eine Große Koalition. Doch die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse zwangen sie in das rot-grüne Projekt. Was wir nun mangels Substanz dieses Projekts bekommen haben, ist eine Große Koalition – nur in einer Konstellation, die noch schlimmer als eine SPD/CDU-Bundesregierung ist. Dann nämlich wäre wenigstens den Grünen nichts anderes übrig geblieben als Oppositionspolitik. Nun aber sind sie Teil einer faktischen Allparteienregierung, aus der nur die PDS ausgegrenzt ist – denn die FDP beklagt ja durchaus zu Recht das Abkupfern ihrer Programmatik beispielsweise in dem berühmten Schröder/Blair-Papier.
Wenn man den Befunden der Umfrageforschung zu zentralen Politikfeldern trauen kann, dann steht das hiesige Volk eindeutig weiter links als seine parlamentarische Repräsentation – und zwar keineswegs, wie diese es sich und diesem Volk einreden will, nur im Sinn sozialer Besitzstandswahrung, sondern durchaus auch im Sinn sozialer Innovation und Demokratie. Doch innerhalb der SPD und der Grünen haben die Linken bekanntlich schon seit längerem schlechte Karten, und auch außerparlamentarisch dümpelt die politische Linke eher vor sich hin. So liegt das in der Bevölkerung vorhandene linke Potenzial brach.
Die aktuelle Krise der Repräsentation ist insofern vor allem eine Krise der Linken. Sie droht allem Anschein nach in einer Zwickmühle falscher Alternativen aufgerieben zu werden: einer Realpolitik, die zur Verantwortungsethik umgedeutete Gesinnungslumperei ist, und einem zur Gesinnungsethik umgedeuteten Mangel an praktischer Handlungsmacht linker An- und Einsichten, die die Gütekriterien linker Weisheit und Moral immer noch aus deren Irrelevanz beziehen.
Im Hier und Jetzt wirksam eingreifen und dabei den Dingen eine andere Wendung geben – dieses in seiner Tradition auf keine Geringere als Rosa Luxemburg zurückreichende Konzept einer „revolutionären Realpolitik“ hätte „im Volk“ durchaus eine Basis. Denn es hat die ewig weiter wachsende Arbeitslosigkeit, die forcierte Verunsicherung von Arbeits- und Lebensperspektiven, das Bedienen der Reichen und das Schröpfen derer, die sowieso nicht gerade in Saus und Braus leben, einfach satt hat. Aber es mangelt an glaubwürdigen und wenigstens auf Handlungsmacht bedachten Akteuren.
Theoretisch hätten am ehesten noch die Gewerkschaften eine gute Chance, das politische Vakuum auf der Linken zu füllen. Denn es sind ja ihre ureigensten Belange, vor allem die mit neuer Wucht auf die politische Agenda zurückgekehrten sozialen Fragen, die weder im Parlament noch in der politischen Öffentlichkeit kompetent vertreten werden. Aber auch bei den Gewerkschaften hapert es bekanntlich an der „Kraft des Neuen“. Vor allem aber müssten sie sich, wenn sie denn wirklich in das aktuelle Desaster der Politik eingreifen wollten, allen Ernstes vornehmen, Gerhard Schröder zu stürzen – nicht weil der allein an allem schuld wäre, sondern weil er als Symbolfigur der Abwicklung des sozialdemokratischen Zeitalters durch die Sozialdemokratie fungiert.
Genau dies ist den Gewerkschaften nun leider kaum zuzutrauen – es sei denn, die Genossen in NRW würden aus dem Desaster der Kommunalwahl wirklich etwas lernen und ihr wendiger Ministerpräsident würde – und sei es nur zum Zweck des Machterhalts – sein Herz nun doch wieder auf der linken Seite schlagen lassen und dabei mit den Gewerkschaften gemeinsame Sache machen. Vielleicht würde das auch in der politischen Öffentlichkeit jenen Ruck auslösen, in dem, über bloße Machtarithmetik hinaus, die Kraft und die Fantasie sozialer und politischer Innovation freigesetzt würde. Ingrid Kurz-Scherf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen