■ Die anderen: "Neue Ruhr Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Handelsblatt" zu Schröders Auftritt im Bundestag
Die „Neue Ruhr Zeitung“ aus Essen beurteilt Schröders Auftritt im Bundestag zurückhaltend: Der einstige Gipfelstürmer möchte festen Boden unter den Füßen haben. Seine Rede in der Etatdebatte des Bundestages war ein einziger Sicherheits-Check. Schröder hat um jenen Teil der SPD gebuhlt, der zum Zerreißen gespannt ist, um die Linken, um die Sozialpolitiker. Hoch oben sitzen die Leute, die den Berg von Problemen auftürmten und selbst nie das Wagnis der Umkehr auf sich nahmen, die Kohls, Waigels, Schäubles. Sie schauen zu, warten ab, gehen Wetten ein: Ob er stürzt, ob sie ihn fallen lassen? Immerhin würde ein Großteil der SPD – wie die Christdemokraten – lieber auf halber Strecke Halt machen oder es vielleicht doch mit einem anderen probieren, mit Rudolf Scharping zum Beispiel.
Ganz anderes, fast euphorisch, liest sich dies bei Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“: Die SPD hat es gut, sie hat alle Fehler schon gemacht; der Kanzler kann also wieder zuversichtlich sein. Vielleicht war das der Grund, warum ihm am Donnerstag im Bundestag ein so überzeugender Auftritt gelungen ist. Noch nie seitdem Gerhard Schröder die Regierung führt, war er im Bundestag so gut wie gestern: Er war beherzt, ja kämpferisch. Er hat seine Nöte der CDU/CSU und der FDP, der Vorgänger-Regierung also, vor die Füße gekippt. Und er hielt dann seine Rede quasi vom Gipfel dieses gigantischen Schuldenberges aus, den Kohl ihm hinterlassen hat. Kanzler Schröder stand gestern vor dem Bundestag, als sei der Lafontaine in ihn gefahren. Schröder hatte offenbar den Satz verinnerlicht, mit dem der Saarländer damals, beim berühmten Revolutionsparteitag von Mannheim, die Macht in der Partei erobert hatte: „Nur wer selbst überzeugt ist, kann andere überzeugen.“ Zum ersten Mal seit langem redete der Kanzler so, dass sich seine gesamte Partei hinter ihm sammeln kann.
Das „Handelsblatt“ meint dazu: Schröder war klug genug, sich nicht alleine auf die Rolle des eisernen Sparkanzlers zu beschränken. Seine Partei dürstet nach mehr, sie will die Gewissheit spüren, dass trotz der notwendigen Einschnitte noch das Banner der sozialen Gerechtigkeit hochgehalten wird. Es ist nicht die Opposition, die Schröder Kummer bereitet, sondern die SPD. Ihre Anhänger laufen davon, und die entmutigte Parteibasis fragt sich angesichts der Serie von Wahlniederlagen mittlerweile bange, ob der „Genosse der Bosse“ mit seinem Modernisierungskurs noch eine Politik verfolgt, die erstens sozialdemokratisch und zweitens mehrheitsfähig ist.
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