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Rückbesinnung auf gemeinsame Werte

■ Und wider das Denken in den Grenzen von 1492: Eine Tagung zum Thema „Islam, Christentum und Menschenrechte“ in der Berliner Katholischen Akademie

Symposien zum Thema Islam sind ein wenig aus der Mode gekommen. Mitte der Neunzigerjahre hatten sie Konjunktur, dank des Feuilletonwirbels um die Friedenspreisträgerin Annemarie Schimmel, deren Mitgefühl für die Ajatollahs Irritationen auslöste, und nicht zuletzt wegen der Thesen des Harvard-Politologen Samuel Huntington, der für das nächste Jahrhundert einen weltweiten „Kampf der Kulturen“ prognostizierte. Dem islamischen Kulturraum, dessen Grenzen er als „blutig“ bezeichnete, dachte Huntington in seinem Zukunftsszenario eine tragende Rolle zu.

Die öffentliche Anteilnahme hat sich inzwischen etwas gelegt. Als die Katholischen Akademie in Berlin am vergangenen Wochenende ganz antizyklisch zu einer Tagung zum Thema „Islam, Christentum und Menschenrechte“ lud, da waren die hart gesottenen Islam-Interessenten wieder unter sich. Das Publikum setzte sich zusammen aus versprengten Resten eines kritischen katholischen Bürgertums, etliche im Rentenalter, und zur anderen Hälfte aus Teilnehmern aus islamischen Ländern, vorwiegend Exiliraner. Seit zehn Jahren profiliert sich die Akademie nun schon in Berlin-Mitte als intellektueller Debattierclub der Kirche, die sich bemüht, ihre Präsenz in der neuen Hauptstadt auszubauen.

Dass sich weder im Koran noch in der Bibel prinzipielle Stolpersteine für die Menschenrechte fänden, darüber waren sich alle Redner schnell einig. Ernst Pulfort, der Leiter der Katholischen Akademie, gab jedoch zu, dass die Durchsetzung der Menschenrechtsidee eine „harte Schule“ für die Kirche gewesen sei, die Abstand nehmen musste vom Projekt der Verkirchlichung aller Lebensbereiche. Inzwischen aber hätten auch die Katholiken die Säkularisierung des öffentlichen Lebens akzeptiert, so Pulfort. Nun stelle sich die Frage, welchen positiven Beitrag Christen für die Menschenrechte zu leisten vermögen. Aktuelle Reibungspunkte blieben im Verlauf der Debatte jedoch ausgeklammert.

Ähnlich unproblematisch wie seine Vorredner sah Mojtahed Schabestani die Lage für den Islam. Der Professor an der theologischen Fakultät der Uni Teheran wirkte mit seinem weißen Vollbart und seiner dicken Brille nicht nur wie ein linker protestantischer Pfarrer, er redete auch so. Mit sympathischem Akzent erklärte er, die Überlieferung des Korans stelle keine absoluten Wahrheiten bereit, vielmehr seien neue, zeitgemäße Interpretationen möglich. Hier böten sich Anknüpfungspunkte zum modernen Konzept der Menschenrechte. Leider dürfte Schabestanis liberales Verständnis der Religion im Iran derzeit kaum mehrheitsfähig sein, wie er verhalten einräumte. „In der Vergangenheit sind die meisten Gelehrten diesen Weg nicht gegangen. Aber wir müssen unsere Tradition wissenschaftlich betrachten und kritisieren“, sagte er vorsichtig, machte allerdings einen gewissen Rückstand geltend: „Christliche Theologen haben sich 200 Jahre lang mit dieser Problematik auseinandergesetzt. In der islamischen Welt ist diese Debatte neu, sie wird theologisch wenig diskutiert.“ Dass der Mullah-Staat im Iran so wenig eine zwangsläufige Erscheinungsform des Islam ist wie Kreuzzüge und Inquisition zwingende Ausprägungen des Christentums sind, wurde jedoch in seinem Vortrag deutlich. Es geht auch anders. Aber wie?

Nun wäre es schön gewesen, mit Mahmoud Zakzouk von der Al-Azhar Universität in Kairo einen Vertreter des religiösen Establishments zu hören. Doch der hatte abgesagt. So war es am Islamkundler Mohammed Arkoun, die allgemeine Harmonie ein wenig zu stören. 20 Jahre lehrte Arkoun an der Sorbonne in Paris „islamische Ideengeschichte“, seit sechs Jahren berät er die französische Regierung in Islamfragen. „Es gibt keine Religionsfreiheit in der islamischen Welt, die diesen Namen verdient“, polterte er und nannte auch gleich einen Grund dafür: „Die gängige Koraninterpretation geschieht auf der Grundlage mittelalterlicher Autoritäten. Es gibt keine Theologen in der islamischen Welt, die sich auf dem gleichen Niveau bewegen, wie wir es von ihren protestantischen oder katholischen Kollegen kennen.“ Sein Nachbar Schabestani widersprach ihm nicht.

Dann nahm Arkoun Europa in die Pflicht, indem er ein flammendes Plädoyer für interkulturelle Schulbildung hielt. „Welche Institutionen existieren denn in den Ländern mit einer signifikanten muslimischen Bevölkerung, wo diese in kritischer Weise etwas über die eigene Geschichte, die eigene Tradition lernen können?“, fragte er. „Welche Rolle spielt denn das Mittelmeer im Schulunterricht? Wir teilen es in die Grenzen von 1492, als die spanischen Eroberer die muslimischen Mauren und mit ihnen die sephardischen Juden von der Halbinsel vertrieben.“ Durch das Wissen um gemeinsame Grundlagen aber könne man sich leichter auf gemeinsame Werte verständigen, wobei er nicht vergaß, auch auf außereuropäische Denkschulen hinzuweisen. Die fehlende intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam begünstige dagegen dessen fundamentalistische Vereinnahmung. Wenn sich aber in Europa – und nur in Europa bestünden derzeit die politischen Voraussetzungen dafür – das Leitbild eines modernen Islamverständnisses entwickele, hätte das einen immensen Einfluss auf die Gesellschaften Nordafrikas und des Nahen Ostens. Die europäischen Staaten, so Arkoun, hätten es in der Hand, die Herausbildung eines liberalen Islam zu fördern. Daniel Bax

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