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Der Kuchen ist so klein wie nirgendwo

Die niedergelassenen Ärzte in Berlin verdienen im Durchschnitt weniger als ihre Kollegen in der Provinz. Ein Grund ist die hohe Dichte von Arztpraxen in der Stadt. Einsparungen treffen zuerst das Personal  ■   Von Matthias Fink

Mitten in den glücklichen Siebzigern kamen auf 100.000 Westberliner etwa 118 Ärzte. Ende vorletzten Jahres waren es 188, der Ost-Wert lag kaum niedriger. Die hohe Dichte ist nicht zuletzt durch die Zulassungssperre bedingt, die der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) vor einigen Jahren einführte. Da eine solche Einschränkung nicht von jetzt auf gleich in Kraft treten durfte, gab es erst noch einen Gründungsboom von Arztpraxen. Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus: „Etwa 1.000 zusätzliche Kollegen im niedergelassenen Bereich hat Berlin damals bekommen – bei Honorardeckelung“, also bei gleich bleibender Summe dessen, was zu verteilen war.

Die Sperre gilt heute nicht flächendeckend, sodass Neugründungen immer noch möglich sind, Flexibilität aber gefragt ist. So könnte etwa Weißensee nach aktuellem Stand noch 4 GynäkologInnen vertragen, in Neukölln könnten zusätzliche 2,5 AllgemeinmedizinerInnen unterkommen; fürKinderärzte hingegen ist ganz Berlin zurzeit dicht.

Ob denen, die hier nicht unterkommen, etwas entgeht? Der gesamte Kuchen ist in Berlin so klein wie nirgendwo sonst. Der Durchschnittsumsatz Berliner niedergelassener Ärzte lag 1997 bei knapp 300.000 Mark, der niedrigste Wert unter allen 23 Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVs) in Deutschland. Die KV Berlin glaubt indessen nicht, dass dieser niedrige Wert allein durch die hohe Ärztezahl in der Stadt zu erklären sei: „Selbst wenn 1.000 Ärzte weniger da wären, läge der Durchschnittssatz noch immer unter dem Schnitt in Westdeutschland“, argumentiert ihre Sprecherin Susanne Glasmacher.

Die Budgets, aus denen die Vergütungen gezahlt werden, sind abhängig vom Beitragsaufkommen, also von der Wirtschaftskraft. Zusätzlich hieß es in den letzten Jahren solidarisch sein, im Rahmen der Ost-West-Angleichung: 1995 wurden die Vergütungssätze für in Ostberlin niedergelassene Ärzte erhöht und für Westberliner Kollegen gesenkt. Weiter bestehen hingegen die gravierenden Unterschiede zwischen den Ärzten einzelner Fachgruppen: 1997 erhielten in Berlin Nuklearmediziner durchschnittlich 802.000 Mark vergütet, während die – weniger auf teure Geräte angewiesenen – Allgemeinmediziner nur 218.000 Mark überwiesen bekamen.

Letztes Jahr ermittelte die Berliner Ärztekammer in einer Befragungsaktion zur „Einkommens- und Arbeitssituation“ ein Monatsnettoeinkommen von 3.666 Mark für die Berliner Ärzteschaft. Jeder Vierte der Befragten verdiente danach monatlich weniger als 2.000 Mark, ein weiteres Viertel indessen über 5.000 Mark. Die Unzufriedenheit mit den Einkünften war groß. Dabei spielt sicher auch die ermittelte wöchentliche Arbeitszeit von 53,4 Stunden eine Rolle. Fast ein Fünftel der Arbeitszeit ging für „administrative“ Tätigkeit drauf, ein gerne verwendetes Argument gegen weitere Budgetierungen.

Allzu aussagekräftig ist die Untersuchung allerdings nicht, da die von den über 6.300 Berliner Niedergelassenen gerade mal jeder Fünfte die Fragen beantwortete. Die Verfasserinnen, Monika Huber und Eva Müller-Dannecker, trösteten sich: „Ärzte gelten international als eine Klientel, die sich nur in geringem Umfang an Befragungen beteiligt. Außerdem konnte die Ärztekammer aus Gründen der wirtschaftlichen Mittelverwendung das Rückporto nicht übernehmen ...“

Nicht nur am Porto sparen die Ärzte. Erster Schritt ist häufig die Entlassung von Personal: Die Zahl arbeitsloser Arzthelferinnen in Berlin hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt, im Februar dieses Jahres waren es fast 1.500.

Auch die Behandlung kann bei akuter Finanznot leiden, wenngleich in dieser Frage wenig Konkretes zu hören ist. Geräte werden trotz des technischen Fortschritts nicht so häufig ersetzt, und jeder Arzt weiß, dass – ganz theoretisch – schneller Geld reinkäme, wenn er PatientInnen großzügiger Kassen eher Termine gäbe als anderen. Auch könnte er Privatpatienten Therapien anbieten, die eine gesetzliche Kasse ihren Mitgliedern nicht bezahlen würde. „Man hört davon, dass es auch jetzt schon so gemacht wird“, sagt Anton Rouwen, Sprecher des Aktionsrates Berliner Kassenärzte.

Die Stimmung in der Branche ist entsprechend angespannt. Das bekam der Vorsitzende der Berliner Hausärztevereinigung, der Weddinger Allgemeinmediziner Hans-Joachim Schilling, nach einem Auftritt in der „Abendschau“ des SFB zu spüren. Dienst nach Vorschrift, so hatte er angekündigt, werde er bei denjenigen PatientInnen tun, deren Kassen wenig bezahlten, also keine Hausbesuche machen und sie im Zweifel schnell ins Krankenhaus einweisen: „Ich richte meine Engagement danach aus, was die Krankenkassen vergüten.“ Krankenkassenvertreter strengten daraufhin ein Verfahren zum Entzug seiner ärztlichen Zulassung an. seine Ankündigung stelle seine Eignung in Frage. Nachdem die„erste Instanz“, der Zulassungsausschuss, den Kassen nicht folgte, läuft zurzeit das Berufungsverfahren.

Auch über das Schreckensszenario von zunehmend zahlungsunfähig gewordenen Arztpraxen gehen die Meinungen auseinander. Notverkäufe werde es wohl „nur bei ganz kleinen Praxen“ geben, meint Sybille Golkowski von der Berliner Ärztekammer. Auch bei der KV gibt es keine Informationen darüber, wie viele Praxen aus wirtschaftlichen Gründen zugemacht wurden; „das können wir aus den Zahlen nicht erkennen“, sagt Susanne Glasmacher. So können etwa vermehrte Praxisaufgaben aufgrund der 1998 eingeführten Altersgrenze von 68 Jahren das Bild verzerren. Rouwen hingegen meint: „Es ist erstaunlich, wie viele Arztpraxen momentan in Fachzeitschriften zum Verkauf angeboten werden.“

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