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RTL boxt sich durch

Wenn heute Axel Schulz und Wladimir Klitschko boxen, schlägt auch für RTL die „Stunde der Wahrheit“    ■ Von Jan Feddersen

Hans Mahr hat seine eigene Version, was heute ab 22.20 Uhr in der KölnArena auf dem Spiel steht: „Die Zukunft des deutschen Boxsports“. Der RTL-Chefredakteur will den Titel des Abends „Stunde der Wahrheit“ nur in diesem und keinem anderen Sinne verstanden wissen.

Gegeneinander im Ring stehen Wladimir Klitschko, ein Mann wie ein Schrank aus der Ukraine, 23 Jahre, 29 Profikämpfe, 28 davon gewonnen, 27 durch vorzeitiges Ende per k.o. Sein Kontrahent heißt Axel Schulz, wiegt 96 Kilogramm und sieht aus wie ein Riesenteddy. Er sollte von RTL als Nachfolger Henry Maskes aufgebaut werden und hat doch alle wichtigen Kämpfe stets verloren.

Schulz ist allerdings momentan der einzige deutsche Boxer, der zumindest annäherungsweise an die Popularität Maskes herankommt, auch wenn seine Beliebtheit nach Meinung von RTL-Boxexperten sehr viel mit Mitleid zu tun hat. Dennoch ist Mahr von dem „Charisma“ des Deutschen überzeugt, was übersetzt meint, dass dem Publikum das Schicksal Schulzens nicht völlig egal ist. Der Kampf lebt somit davon, dass der Mann aus Bad Saarow versuchen soll, endlich einmal einen großen Kampf nicht zu verlieren, und damit „für Deutschland“ (so Österreicher Mahr) den ersten Europameistertitel seit Anfang der Siebziger zu erringen.

Erst mit den Sport-Events wurde RTL so erfolgreich

Nach dem Verlust der Champions-League-Rechte an tm3 muss RTL fürchten, peu à peu aus der Bundesliga der sportübertragenden Sender herauszufallen. Dabei ist der Sender überhaupt mit seinen Sportlizenzen erst mächtig geworden. Das begann Ende der achtziger Jahre mit den Tennisübertragungen und den damals von der ARD eroberten Fußballbundesligarechten. Dann „erfand“ RTL das Boxen fürs Fernsehen und bewies, daß man mit der Formel 1 Quote machen kann.

Doch all diese publikumsträchtigen Übertragungen waren immer an deutsche Akteure gebunden, an einheimische Stars, mit deren Siegen Blut, Schweiß und Tränen identifiziert werden konnten. Also mit Boris Becker, bedingt auch mit Steffi Graf, aber nicht mit Michael Stich. Im Fußball hakte das Geschäft schon, weil die Lizenz für WM-Turniere nicht zu haben war. Beim Boxen („die individuellste Sportart überhaupt“, so Mahr) hing die Sogkraft an Henry Maske, der mit einer äußerst telegenen Mischung von Ostherkunft und westlicher Manierlichkeit siegte; bei der Formel 1 ist Michael Schumacher das Zugpferd und eben nicht sein Verfolger Heinz-Harald Frentzen. Ohne den verunfallten Michael Schumacher hatten die Übertragenden längst nicht die Quote, die der Sender braucht, um sich selbst als Sieger zu fühlen.

Auch die jüngsten Boxübertragungen reichten nicht an Maskes Quotenerfolge heran; Sven Ottke, Berliner Faustkämpfer, schaffte nur gut die Hälfte von Sir Henrys Marktanteil. Der angeschlagene Axel Schulz soll es nun richten.

Man überredete ihn, mit dem frustrierenden, weil bislang ungekrönten Karriereende ein wenig warten. Während der vergangenen Jahre war der Retter freilich oft verletzt; im Frühjahr zwickten ihn noch Bandscheibenbeschwerden. Dennoch wird Schulz, der gänzlich unpassenderweise zum Boney-M.-Titel „Daddy Cool“ in die Arena schreiten wird, heute noch einmal Teil einer wichtigen liveöffentlichen Inszenierung. Weil Wladimir Klitschko (Kampfmusik: Tina Turners „Simply the Best“) kein Unbekannter ist, verspricht man sich zumindest eine zweistellige Einschaltquote.

Immerhin kann RTL darauf vertrauen, dass an diesem Wochenende keine konkurrierende Sportveranstaltung stattfindet, also weder eine Leichtathletik-WM noch ein Fußballländerspiel dem Ereignis ins Gehege kommt. Somit ist der Aufwand, den RTL rund um den Kampf betreibt, wenigstens aus Sicht der Investoren berechtigt: Werner Schneyder als kundiger Moderator, Kai Ebel mit Interviews und der schon zu Maskes Zeiten regieführende Volker Weicker in der Regie. Zu verhindern ist freilich nicht, dass rund um den Ring wieder allerlei Menschen sitzen werden, die sich soziokulturell vornehmlich in Rotlichtvierteln heimisch fühlen, dazu vermutlich Heiner Lauterbach und andere deutsche Film- und Fernsehgesichter. Auf den Rest, so Mahr, will er sich gedanklich gar nicht erst einlassen, „Spekulationen gehören nicht zu meinem Geschäft“.

Nun soll Skispringen TV-Trendsportart werden

Auch abseits des Boxens wird weiter mit Sportrechte spekuliert. Die neue Liebe von RTL zum Skispringen läßt sich unmittelbar in Verbindung bringen mit dem neuen Sporthelden Martin Schmidt. Nachdem der in der vorigen Saison sowohl zum Weltmeistertitel hüpfte als auch den Weltcup gewann, kaufte der Kölner Sender kurzerhand die Rechte vom Deutschen Ski-Verband. Vom 1. Januar an, zum zweiten Teil der stets für marktführende Quoten bekannten Vierschanzentournee in Garmisch-Partenkirchen, wird RTL mit den Übertragungen beginnen. ARD und ZDF bleiben somit nur – wie schon beim Tennis, bei der Formel 1, beim Bundesligafußball – nur Vorberichte über Trainingseinheiten. Wie zu hören ist, sind aber selbst die gut für überdurchschnittliche Marktanteile – solange nur deutsche Stars mit von der Partie sind.

Verkauft wird eben längst nicht mehr der Sport, sondern der Sportler. Deshalb wird RTL, noch Marktführer in Sachen Sportübertragungen, auch nur so lange am Ball, am Reifen, an den Latten, an den Handschuhen bleiben, so lange man damit deutsche Helden machen kann. Konsequent distanziert sich Hans Mahr vom Tennis, ehedem eine erfolgreiche RTL-Sportart: Das Match dauere zu lange, habe zu komplizierte Regeln und eigne sich nur selten für die Inszenierung von Showkämpfen. Oder anders gesagt: Boris Becker hat sich verabschiedet.

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