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Auch Adoptivmütter legen ihr Kind einfach an die Brust

■ Allein das Saugen regt die Milchproduktion an / Ein Gespräch über das unbekannte Thema Adoptiv-Stillen mit Martá Guóth-Gumberger: Sie berät bundesweit Mütter

Sie hat selbst zwei Adoptivkinder gestillt und hat viele Jahre Erfahrung in der Beratung von Müttern: Martá Guóth-Gumberger berät vom bayrischen Rosenheim aus derzeit bundesweit telefonisch Adoptivmütter. Die „Leche Liga“ – eine weltweite gemeinnützige Organisation – vermittelt von Bremen aus Kontakt zu der Fachfrau, damit sich auch Bremer Mütter betreuen lassen können (Kontakt über Tel.: 0421/56 11 830). Denn zum Stillen von Adoptivkindern braucht frau viel Unterstützung und Beratung.

taz: Manche sagen, das Stillen von Adoptivkindern sei mit vielen Tabus behaftet und deshalb so wenig verbreitet. Woran liegt das?

Márta Guóth-Gumberger: Tabu würde ich nicht sagen. Denn es gibt einfach sehr wenige Kinder, die in so einem frühen Alter als Adoptivkind vermittelt werden, in dem Stillen möglich ist. Das ist eher der vorrangige Grund für die sehr geringe Verbreitung. Es haben sich außerdem erst sehr wenige Leute darum bemüht, das Thema publik zu machen. Viele reagieren allerdings schon erstmal mit Staunen und auch mit ein bisschen Abwehr.

Warum Staunen und Abwehr?

Staunen, weil die meisten die Vorstellung haben, dass eine Geburt absolut notwendig ist für das Stillen eines Kindes. Und die Abwehr hängt damit zusammen, dass Stillen immer noch nicht selbstverständlich ist. Wenn Probleme beim Kind auftauchen, wird oft die Ursache beim Stillen gesucht. Und diese Einstellung wirkt sich auch auf das Adoptiv-Stillen aus.

Und die Abwehr hängt nicht damit zusammen, dass die Moralvorstellung vorherrscht, nur das leibliche Kind einer Mutter und kein fremdes darf an die Brust?

Das habe ich schon ein paarmal so gehört – aber ich glaube eher, dass die Tendenz unserer Gesellschaft ist, Kinder eher auf Abstand zu erziehen – zum Beispiel, dass man sehr erwartet, dass das Kind alleine ohne Körperkontakt einschläft. Und diese Sichtweise überträgt man dann eben auch auf das Adoptivkind.

Aber mittlerweile ist Stillen wieder mehr angesagt – und auch die Einstellung zu körperlicher Nähe, da passiert doch ganz viel?

In den letzten Jahren wurde viel für das Stillen getan und es ist dadurch auch vielen Frauen wieder viel bewusster geworden. Heute möchten mehr Frauen stillen.

Und wieso können Frauen überhaupt stillen, obwohl sie gar nicht schwanger waren?

Milchbildung kann bei jeder Frau angeregt werden – allein durch das Saugen des Kindes. Wenn die Adoptivmutter ihr Baby an die Brust anlegt, kommt am Anfang keine oder ganz wenig Milch. Das ist für ein junges Baby meist kein Problem, weil bei jeder Mutter kurz nach der Geburt wenig Milch kommt.

Also kommt die Milchproduktion allein durch den mechanischen Reiz in Gang?

Nach der Geburt setzt bei einer Frau automatisch die Milchbildung ein – egal ob eine Frau stillt oder nicht. Dieser Prozess ist rein hormonell bedingt und hört nach einer bestimmten Zeit auf. Die Milchbildung wird danach durch das Saugen aufrechterhalten – und diesen Prozess, dass durch Saugen die Milchbildung angeregt wird, kann man sich beim Adoptiv-Stillen zunutze machen. Aber das geht natürlich viel langsamer als nach einer Geburt – und die Mengen sind im Allgemeinen deutlich geringer. Also muss man zufüttern.

Und das unterbricht nicht wieder den Stillprozess?

Wenn das Zufüttern mit der Flasche geschieht, ist das in der Tat schwierig. Die Flasche ist oft der Beginn zum Abstillen. Deshalb ist es beim AdoptivStillen sehr günstig, wenn während des Stillens zugefüttert wird – und dafür gibt es ein Hilfsmittel: Das sogenannte Brusternährungsset. Das ist ein kleines Fläschchen, das sich die Mutter mit einer Kordel um den Hals hängt. Unten sind zwei Schläuche befestigt. Das Baby nimmt die Brust und den Schlauch in den Mund. Wenn es dann saugt, bekommt es sowohl die Milch aus der Brust als auch die zugefütterte Milch aus dem Schlauch.

Und wie kommen die Frauen mit dem Brusternährungsset zurecht?

Die meisten sind mit dieser Art des Zufütterns sehr zufrieden. Allerdings ist die Milchmenge von Frau zu Frau sehr unterschiedlich. Sie hängt stark davon ab, wieviel Unterstützung die Frau erhält. Denn um die Milchmenge stark zu steigern, bräuchte sie sehr starke Entlastung im Haushalt, damit sie ihr Baby sehr oft stillen kann. Die Familie muss also wissen, ob sie sich mehr Zeit nehmen will – oder ob sie es ein bisschen lockerer handhabt und die Mutter sechsmal am Tag mit dem Hilfsmittel und ein paarmal zwischendurch ohne stillt. Das kann für sie auch eine schöne Erfahrung sein. Die meisten Adoptivmütter und -babys genießen diese Erfahrung sehr.

Fragen: Katja Ubben/

Foto: Laura Marina

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