■ Soll sich die Kirche politisch engagieren?: „Bei uns geht es nur um Dämme und Deiche“
Andreas Quiering, 30 J., wissenschaftl. Mitarbeiter
Wenn sich die Kirche für die Menschen interessiert, dann muss sie sich auch für die Politik interessieren und politisch tätig werden. Das eine impliziert das andere. Die Kirche kann sagen, was ein Politiker häufig nicht sagen kann, sie ist ja nicht an Wählerstimmen gebunden. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen, und die Kirche muss unbequem und in der Öffentlichkeit präsenter sein.
Ursula Schönberger, 45 J., Gestalterin
Die Kirche ist für politische Aktivitäten die falsche Adresse. Heute ist sie fast wieder reaktionär. Zu DDR-Zeiten war ich sehr aktiv. Damals war die Kirche Zufluchtsort und Freiraum. Dort konnte man protestieren und seine Meinung sagen. Nach der Wende wurde mir die Bürgerbewegung zu militant und zu dämlich. Unter den heutigen Bedingungen hat die Kirche keinen Einfluss mehr.
Yvonne Steffen, 22 J., Studentin
Für die Kirche gibt es keine politische Zukunft. Die Leute hören auch nicht mehr auf das, was die Kirche sagt. Ich kenne niemanden, der wirklich gläubig ist und auf das achtet, was die Kirche sagt. Die Kirche ist nicht die Institution, die politische Meinungen vertreten kann. Nur im sozialen Bereich ist noch Veränderung möglich, aber dass die Kirche sich um Hilfsbedürftige kümmert, ist selbstverständlich.
Lydia Seiler, 74 J., Rentnerin
Wie es zur Wende war, wird es nie wieder sein. Da man die Kirche von der Politik ausgeschaltet hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Kirche noch irgendetwas gegen die Politik macht. Sie steht alleine da, sie hat niemanden. Wir versuchen hier Postkarten und Kreuze anzubieten, um die Suppenküche für die Odachlosen aufrechtzuerhalten. Die Kirche steht heute schlechter da als zu DDR-Zeiten.
Olaf Günther, 24 J., Student
Wenn die Kirche sich politisch engagiert, kommt schnell der Verdacht auf, ins 19 Jahrhundert zurückzufallen. Die Trennung von Kirche und Staat ist ein wichtiges Element der Demokratie. Aber sie muss sich einmischen. Was die Kirche im Osten vor der Wende gemacht hat, das sollte sie vielleicht wieder tun, aber mit anderen Aufgaben. Zum Beispiel sollte sie sich stärker um das Kirchenasyl kümmern.
Peter Sinn, 42 J., Pfarrer
Die Kirche im Osten ist stark geschrumpft, Engagement kann dort nur von der Basis ausgehen, in den Kommunen. Im Westen sieht es da anders aus. Es gibt die Möglichkeit, über Synoden politisch aktiv zu werden. Das wird die evangelische Kirche sicher weiterhin tun. Die Aufgabe der Kirche wird es immer sein, sich um die Armen zu kümmern. Bei uns in Lippstadt geht es aber eher um Dämme und Deiche.
Umfrage: Jan Brandt
Fotos: Jan Nordmann
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