: Neonazis morden in Schweden – per Steckbrief
■ Erst kommt die Ankündigung, dann das Attentat: Gewerkschafter ist schon das fünfte Opfer
Stockholm (taz) – „Wir haben den politischen Terrorismus im Lande“, verkündete Schwedens Justizministerin Laila Freivalds am Wochenende. Der Hintergrund für die späte Einsicht: In der vergangenen Woche war der 41-jährige Gewerkschafter Björn Söderberg an seiner Haustür ermordet worden. Bewaffnete Männer hatten geklingelt. Als Söderberg die Tür öffnete, wurde er kaltblütig niedergeschossen. Drei Angehörige rechtsextremer Organisationen sind des Anschlags dringend verdächtig und sitzen in Untersuchungshaft.
Das Motiv scheint klar zu sein: Der Ermordete hatte vor einer schleichenden Unterwanderung der Gewerkschaften durch Rechtsradikale gewarnt und vor einigen Wochen den rechtsextremistischen Hintergrund eines Betriebsrats öffentlich gemacht. Nur Tage später bestellte sich dieser Betriebsrat über die Postfachadresse der „unabhängig nationalsozialistischen“ Zeitschrift Info 14! bei der Passbehörde ein Foto Söderbergs und Auskunft über seine Wohnadresse – diese kann auf Grund des schwedischen „Öffentlichkeitsprinzips“ jeder Mitbürger gratis bei den Behörden erhalten. Einige Tage später prangte das Foto des „Spions“ auf rechtsextremen Internetseiten.
Die rechtextremen Kreise in Schweden setzen um, was sie seit langem propagieren: Krieg gegen den Staat, die schwedische „Scheindemokratie“ und ihre „Lakaien“. Ein politischer Rechtsterrorismus, bei dem man sich in Strategie und Taktik offen auf die deutsche RAF stützt.
Die verhafteten Rechtsextremisten selbst sind der Polizei bekannt. Zwei wurden mit einem Waffenraub beim Militär im September letzten Jahres in Zusammenhang gebracht. Alle drei sind in einer Art neonazistischem Gegen-Geheimdienst aktiv, der sich „Anti-AFA“ nennt. Dieser sammelt aus offen zugänglichen Quellen Material über „Rasseverräter“ und veröffentlicht diese in Form von Steckbriefen in rechtsextremen Schriften oder Internetseiten.
Einer der jetzt Verhafteten hatte sich vor einigen Monaten die Fotos eines Journalistenehepaars besorgt, auf das Ende Juni ein Anschlag mit einer Autobombe verübt worden war. Die Journalistin und ihr durch den Anschlag schwer verletzter Mann hatten über rechtsextreme Schallplattengesellschaften recherchiert, welche von Schweden aus Europa mit „arischer“ Musik versorgen und nach Erkenntnissen der Polizei einen Großteil der rechtsradikalen Aktivitäten in Schweden finanzieren.
Die dritte rechtsterroristische Gewalttat dieses Sommers war die Ermordung zweier Polizeibeamter bei einem Banküberfall am 28. Mai, bei dem mindestens drei Rechtsradikale umgerechnet über 800.000 Mark erbeutet hatten. In rechten Blättern wird die Beute als „willkommener Zuschuss für die Kampfkasse“ verbucht. Die Zeitschrift Info 14! rechtfertigt ausdrücklich den Polizistenmord, da diese „die Uniform dieser Scheindemokratie angezogen haben und deren kriminelle Gesetze aufrechterhalten“. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang, dass in den letzten Tagen aus verschiedenen Städten gemeldet wurde, bekannte Rechtsradikale hätten sich bei den Einwohnermeldeämtern mit Fotos von Polizeibeamten versorgt. Schon früher hatten sie die Daten von Antifaschisten erhalten.
„Dass Neonazis hier in Schweden Menschen töten, ist nichts Neues“, sagt die Soziologin Hélene Lööw und verweist auf eine Reihe von Anschlägen in den letzten Jahren, die vor allem auf AusländerInnen zielten: „Was aber jetzt passiert, ist eine neue Qualität. Nicht mehr ein farbiger Mann auf der Straße ist das mehr oder weniger zufällige Opfer. Man verfolgt mit den Taten jetzt politische Ziele.“
Während vor allem von Gewerkschaftsseite der Ruf nach einem Verbot rechtsradikaler Organisationen wieder lauter wird, glaubt Justizministerin Freivalds – „ein Verbot ist völlig sinnlos“ – an die Wirkung effektiverer Arbeit von Polizei und Justiz. Der Geheimdienst SÄPO, der Staatsfeinde auch bis in die jüngste Vergangenheit vor allem von links kommen sah und derzeit einen Großteil seiner Ressourcen auf die Überwachung von militanten UmweltschützerInnen und TierrechtsaktivistInnen verschwendet, soll sich primär der rechtsradikalen Szene widmen.
Und ein bisschen weniger an Demokratie und Öffentlichkeit soll es auch werden: Die Herausgabe von Passfotos und anderen Auskünften aus Behördenakten soll erschwert, die Polizei zusätzliche Abhörbefugnisse erhalten. Womit in Schweden sich offenbar nicht nur die Rechtsextremen die RAF zum Vorbild genommen haben, sondern auch der Staat in seiner Reaktion auf das Deutschland der Siebzigerjahre schielt. R. Wolff
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