: Netze nutzen
■ Sasha Waltz ist weg, wie geht es weiter? Das Konzept der neuen Sophiensäle
Langweilig war es noch nie in den Sophiensälen: Von Anfang an wurde dort in Mitte die Enge der Nischenkultur, die bis 1989 die Grenzen der freien Szene in Berlin bestimmte, überwunden. Die Kontakte, die das Dreigestirn der Gründer Sasha Waltz, Dirk Cieselak und Jo Fabian seit 1996 geknüpft haben, gehen nach Holland und Osteuropa ebenso unvoreingenommen wie nach Hildesheim.
In diesem Netz sehen Amelie Deuflhard und Michael Mans, die nach dem Wechsel von Sasha Waltz und Jochen Sandig an die Schaubühne zu Beginn dieser Spielzeit die Leitung übernommen haben, weiterhin ihr Kapital. In dem neuen Geschäftsmodell einer GmbH bleiben Waltz und Sandig Gesellschafter, denn „noch fühlen wir uns verantwortlich für den Ort“. Aus den Sophiensälen soll aber keinesfalls das Experimentalstudio der Schaubühne werden.
Die Lücke, die durch den Abschied der „Waltz & Guests“-Tanzcompagnie wirtschaftlich entstanden ist, kann allerdings durch die bisherige Spielstättenförderung von 250.000 Mark nicht aufgefangen werden.
Die Geschäftsführerin Amelie Deuflhard stellte gestern in einem Pressegespräch den Plan vor, mit Hilfe eines Fördervereins und von Sponsoren einen künstlerischen Etat aufzubauen. Erstes Ziel: 100.000 Mark für das Jahr 2000. Eine Erhöhung der Spielstättenförderung braucht sie dennoch für ihr Konzept. Für das nächste Jahr sind 16 Produktionen schon verabredet, doch „noch sind die Förderstrukturen des Senats nicht über das Berliner Biotop hinausgekommen und tragen den Künstlern, die von überall nach Berlin kommen, keine Rechnung“, kritisierte Dirk Cieslak.
„Die Situation gerät außer Kontrolle“, steht im neuesten Programmheft, das mit postkatastrophalen Szenarien aufwartet. Fast alle Projekte stellen Fragen nach der Zukunft: Was nach dem Verschwinden der Arbeit passiert, will Cieslak mit Studenten der HdK untersuchen, und wie die eigene Identität als Produkt der Arbeit entsteht, beschäftigt Nicola Hümpel. Mit der eigenen Arbeitsform als reisende Truppe zwischen Hildesheim und Berlin grundiert das Theater Mahagoni seine „Camp-Trilogie“. Seit gestern zeigen sie „Training für Eutschland“.
Textcollagen sind beliebt, und bei der Lektüre der zitierten Autoren von Martin Luther bis Marquis de Sade, von Meister Eckart bis Baudrillard fühlt man sich schnell in Datennetze ohne Halt katapultiert.
Gegen diese Fliehkräfte sichert die Aura der alten Säle dem Programm seine Identität. Die Künstler schätzen das Abgewetzte umso mehr, je weiter Mitte saniert und geputzt wird.
Katrin Bettina Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen