: Morde und Mythen
■ Thea-Dorn-Doppelpack: „Marleni“ als Hörspiel im Abaton und „Die Hirnkönigin“
Es geschieht ja eher selten, dass Hörspiele in Kinos zur Aufführung kommen, aber hier ist der Fall gleich doppelt besonders gelagert: Es geht erstens um zwei herausragende wie umstrittene Frauenfiguren der deutschen Filmgeschichte, und zweitens liegt dem Hörspiel ein Theatertext zugrunde, und zwar ein recht guter, der zumal seiner Uraufführung in Hamburg noch harrt (im Januar 2000 in der Schauspielhaus-Kantine mit Ilse Ritter und Marlen Diekhoff). So ist es schon ein Ereignis, wenn am Sonntagmorgen im großen Saal des Abaton Marleni von Thea Dorn abgespielt wird (die Sprecher-Schauspielerinnen Gisela Uhlen und Gisela May sind auch anwesend).
„Marleni“ ist ein hybrider Neologismus aus Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl. Ein grandioser Einfall, eine atemberaubende Konstruktion: In Marlenes Todesnacht vom 5. auf den 6. Mai 1992 erklimmt die Regisseurin, die einst mit diversen Filmen den Faschismus verherrlichte, den Pariser Balkon der völlig verwahrlosten 90-jährigen Ex-Diva. Die „Nazinutte“ will mit der „Amihure“ einen Film drehen, ihren „letzten“, „ersten“, „größten“: „Penthesilea“. Die Nacht beginnt mit einer Prügelei und schmutzigen Wortgefechten, geht über in eine (fast) ernsthafte Auseinandersetzung über mögliche Verhaltensweisen von Künstlern im Nationalsozialismus und mündet in einer delirösen Verschwisterung.
Marleni ist eine mitunter zum Brüllen komische Groteske im Gewand eines well made plays. Und es hat die charmante Chuzpe eines Debüts, denn zuvor kannte man die 1970 in Frankfurt/M. geborene Thea Dorn, die nach Gesangsausbildung und Philosophiestudium an der Hauptstadt-FU auch Ethik-Seminare abhält, lediglich als Krimiautorin. Mit ihrem Erstling Berliner Aufklärung heimste sie 1994 gleich den Raymond-Chandler-Preis ein. Es folgte Ringkampf, ein Thriller, der im Opernmilieu angesiedelt ist. Nun liegt Die Hirnkönigin vor, aus der Dorn am Montag bei der „Zweiten Hamburger KrimiNacht“ in der Schauspielhaus-Kantine vortragen wird. Wieder treibt sie Mythisches um: Der Roman handelt von einer Serienmörderin, die fließend Griechisch und Latein spricht, mit einer Eule zusammenlebt, sich Nike, die Siegesgöttin nennt und Männer, die ihr zu nahe kommen, skrupellos enthauptet.
Der Presse liefert sie dazu passende autobiografische Sätze wie „Ich bin ein egomanisches, autoritäres Monster“ oder berichtet von ihrem „massiv verdrängten Aggressionspotential“. Das ist eine medienwirksam gut sitzende (Künstler-)Maske – ebenso wie Thea Dorn nur ein Pseudonym ist, eine Kurzverballhornung von Theodor W. Adorno. Fast ein biss-chen schade, dass ihre Etablierung im Theaterbetrieb schon so bald ansteht: Im August 2000 wird sie Dramaturgin am Staatstheater Hannover – mit Schreibverpflichtung.
poe/bkf
„Marleni“: 24. Oktober, 11 Uhr, Abaton; Lesung: 25. Oktober, 21 Uhr, Schauspielhaus-Kantine; Thea Dorn: „Die Hirnkönigin“. Roman. Rotbuch-Verlag, Hamburg 1999, 300 Seiten, 36 Mark
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