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Der Souverän des Südwestens zeigt sich

Morgen finden im Ländle Kommunalwahlen statt. Das besondere Wahlsystem leistet extrentrischem Wahlverhalten Vorschub. Gleichwohl wird sich die Tradition durchsetzen  ■   Aus Stuttgart Klaus-Peter von und zu Klingelschmitt

Damit es nicht zu Warteschlangen beim Wählen kommt, wurden die meterlangen Wahlzettel vorher verschickt

Helmut Meynburg (56) will, dass es uns gut geht, wenigstens den Wählerinnen und Wählern in Stuttgart. Das jedenfalls steht in den Annoncen, die er in diversen Anzeigenblättern der Landeshauptstadt schaltet. Der gelernte Industriekaufmann und Gastwirt gehört der Union an; Platz 42 der Liste der CDU in Stuttgart zu den morgigen Kommunalwahlen in Baden-Württemberg.

Aber im Leben ist nichts umsonst. „Ich will, dass es Ihnen gut geht“, verspricht Meynburg. Dafür will er beim Kumulieren die maximale Punktzahl kassieren: nämlich drei. Und dann die Liste von hinten aufrollen und vorne dabei sein, wenn die Sitze im Stadtrat verteilt werden.

Die CDU sieht diese einsamen Aktionen einzelner Kandidaten, die auf Wahlparteitagen auf die hinteren Ränge verbannt wurden, gar nicht gerne. Denn sie will alle 60 Stimmen, die ein/e Wahlberechtigte/r im Ländle zu vergeben hat, als Partei einsacken. Dann würde alles so bleiben, wie sich das die CDU schon bei der Kandidatenaufstellung gedacht hat: in der „richtigen“ Reihenfolge. 30,3 Prozent erhielt die Union 1994, Platz 2 im bunten Parteienspektrum im Südwesten.

Die Bürger im Lande kumulieren (häufeln) und panaschieren (verteilen) aber ihre Stimmen inzwischen ausgesprochen gerne auf diverse Kandidaten – und manchmal auch auf diverse Parteien. Damit es nicht zu langen Warteschlangen in den Wahllokalen kommt, wurden die meterlangen Wahlzettel schon vorher verschickt, und die Wahlbürger bringen sie ausgefüllt mit. Ob da das Wahlgeheimnis in Familien oder Heimen immer gewahrt bleibt? Fest steht: Es wird lange dauern, ehe für jede einzelne Kommune und für das gesamte Ländle das amtliche Endergebnis errechnet ist.

„Viel ändern wird sich nicht im Vergleich mit den Kommunalwahlen von 1994“, glaubt der Landesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Andreas Braun: „Nicht im Land – und auch nicht in Stuttgart.“ Die Freien Wähler sind traditionell stark in Baden-Württemberg. Mit 33 Prozent und 8.483 Mandaten landesweit erreichten sie 1994 den Spitzenplatz. Weil die Wahlstatistiker auch die Stimmen für viele „grüne Listen“, die aus historischen Gründen nicht unter dem Namen Bündnis 90/Die Grünen antreten, den Freien Wählern zuschlagen, ärgern Braun die schlappen 5,7 Prozent, die für seine Partei beim letzten Mal notiert wurden.

Immerhin: In allen Kreistagen und kreisfreien Städten sind die Bündnisgrünen vertreten (10,4 Prozent); und auch in dem für die Entwicklung der Region immer wichtiger werdenden Regionalparlament Stuttgart (14,3 Prozent). Ob ihnen der eisige Wind aus dem Osten (Berlin) auch bei den Kommunalwahlen im Südwesten ins Gesicht blasen wird? Braun glaubt das nicht: „Wir werden unsere Ergebnisse halten können: überall.“ Kommunale Themen stünden schließlich im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen im Wahlkampf, auch wenn gerade die CDU in Stuttgart noch versuche, mit verbalen Attacken gegen die Bundesregierung zu punkten.

Umstritten ist in der Landeshauptstadt vor allem die Vision „Stuttgart 21“. CDU, Freie Wähler, SPD und FDP sind dafür, die Stadt für die Bahn zu untertunneln und einen neuen Bahnhof zu bauen. Die Kosten: fünf Milliarden Mark plus drei Milliarden für einen weiteren (Messe-)Bahnhof. Die Bündnisgrünen hätten es gerne eine Nummer kleiner. Die PDS lehnt das Projekt ab. Und die „Republikaner“ (REP), die in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber fett und feist im Landtag und in fast allen kommunalen Parlamenten sitzen, sind auch dagegen.

Den Reps wird aktuell vorgeworfen, sich in diversen Kommunen „Kandidaten erschlichen“ zu haben. Jedenfalls rieben sich viele Sympathisanten der REP erstaunt die Augen, als sie plötzlich auf den Kandidatenlisten auftauchten; sie hätten an den Wahlkampfständen doch nur unterschrieben, die Partei „unterstützen“ zu wollen. „Selbst schuld“, urteilte jetzt die Stadtverwaltung in Mannheim. Dummheit schützt eben vor Strafe nicht.

Die Kommunalwahl im Südwesten und die FDP: eine Atempause für Parteichef Gerhardt und seinen „General“ Westerwelle auf dem steilen Weg in den Abgrund? Im Stammland der Liberalen haben sie landesweit ganze 2,6 Prozent zu verteidigen.

Und die SPD? Wo ist die SPD? In Stuttgart kaum Plakate. Und Bundesfinanzminister und „Sparkommissar“ Hans Eichel war im Wahlkampf auch nicht gerade der Knaller. 22,1 Prozent für die Sozialdemokraten 1994. Viele glauben, dass dieses Ergebnis noch „negativ getoppt“ (Grüne) werden könnte.

Und was wird in Stuttgart dem Wähler geboten, der keine Parteien oder etablierte Organisationen wie Freie Wähler mehr hören, sehen oder wählen kann oder will? Liste 14: „Parteilos glücklich.“

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