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Schöner wohnen in Papageienfarben

Nach 40 Jahren DDR-Grau ist die denkmalgeschützte Bruno-Taut-Siedlung in Berlin-Prenzlauer Berg in fröhlichen Farben saniert worden. Die Mieter aber wünschen sich die alte Eintönigkeit zurück. Mit den Tautschen Farbkonzepten der 20er Jahre können sie nichts anfangen    ■ Von Kirsten Küppers

Die 87-jährige Frau Wellnitz ist sauer. Seit 52 Jahren lebt sie nun schon in ihrer Mietswohnung in der Paul-Heyse-Straße im Berliner Ostbezirk Prenzlauer Berg. Und dann sowas: Wenn sie in den Hausflur tritt, ist es, als hätte sich ein scheckiger Colorfilm über ihren ehemals vertraut grauen Wohnblock gelegt. Das Treppenhaus strahlt in Hellblau, Schwarz, Knallrot und Grün, die vorher verwitterten Fensterrahmen leuchten in Gelb-Schwarz, die Balkons wurden mit dunkelblauer Farbe ausgemalt. „Unser Geschmack isses nicht“, raunzt Frau Wellnitz, bevor sie die Tür wieder zuknallt. Man hat sich an den tristen groben Putz gewöhnt, der seit Kriegsende an dem Wohnblock klebte.

Die Siedlung in der Paul-Heyse-Straße steht unter Denkmalschutz. Sie wurde 1927 von dem Architekten Bruno Taut gebaut, der in den 20er-Jahren vor allem damit bekannt wurde, die kühle weiße Moderne grell-bunt einzufärben. „Denn da alles seine Farbe hat, muss auch alles, was der Mensch tut, farbig gestaltet sein“, fand Taut. Von den Tautschen Farben ließen Krieg und 40 Jahre DDR jedoch nichts übrig. Schicht um Schicht musste ein Restaurator mit Pinsel und Skalpell die einzelnen Farbschichten an der Fassade und in den Treppenhäusern abtragen, mussten Fotos in Archiven gesucht werden, bevor das mit der Sanierung beauftragte Architekturbüro rekonstruieren konnte, wie originär bunt der schmucklose Gebäudekomplex einmal gewesen war. Nach vier Jahren sind die Bauarbeiten nun weitgehend abgeschlossen. Für die vorbildliche Sanierung bekommt die Gemeinützige Wohnungsbaugesellschaft (GSW) als Verwalterin der Paul-Heyse-Straße in diesem Monat den Bauherrenpreis vom Gesamtverband der Wohnungswirtschaft verliehen. Architekturinteressierte Touristen pilgern derweil in die „Siedlung mit den Papageienfarben“.

Die Mieter waren weniger begeistert. Schrecklich, furchtbar, grausam lautet anfangs das vernichtende Urteil derer, die von nun an täglich in satter Farbe leben müssen. „Ein Architekt muss doch wissen, dass man Türen und Fenster nicht schwarz streicht“, entrüstet sich ein Bewohner. Bei einer anderen Mieterin rief die Wiederherstellung der Tautschen Raffinesse, bei einigen Balkons Brüstung und Grund aus Glasbausteinen zu bauen, Skepsis hervor: „Was ist, wenn ich einen Rock anhabe. Dann kann mir ja mein Nachbar druntergucken.“ Heftige Proteste sind Architekten, Denkmalpflege und Wohnungsbaugesellschaft mittlerweile gewöhnt. Denn die Paul-Heyse-Straße ist keineswegs die einzige Bruno-Taut-Siedlung, die im Zuge der Restaurierung von Berliner Wohnanlagen aus den 20er-Jahren in den letzten Jahren erneuert wurde.

Taut war Chefarchitekt des genossenschaftlichen Wohnungsbaus der 1924 gegründeten GEHAG (Gemeinnützige Heimstätten Spar- und Bau-Aktiengesellschaft). Diese errichtete unter dem Leitbild „Licht, Luft, Grün“ Siedlungen für Genossenschaftsmitglieder: die Hufeisensiedlung in Britz, die Falkenbergsiedlung in Weißensee, die Waldsiedlung in Zehlendorf, Onkel-Toms-Hütte, die Wohnstadt Carl Legien. Architekturkritiker bewerteten sie als die besten Berliner Wohn- und Siedlungsbauten der 20er-Jahre. Die sozialgebundene Moderne der Tautschen Architektur wurde synonym für die Architektur der Berliner Arbeiterbewegung.

Doch für die jetzigen Bewohner sind knallblaue Decken und schwarze Balkontüren häufig mehr als revolutionär. „Wir wohnen doch nicht hinter einem Sargdeckel“, empörten sich Mieter in der Falkenbergsiedlung. Mühsam galt es, des Denkmalpflegers Alptraum – Blumenbänkchen, Kiefernholzvertäfelungen und anderen gemütlichkeitssteigernden rustikalen Zierrat – gegenüber dem nippesfeindlichen Taut-Modell zu verteidigen. In Onkel-Toms-Hütte hatten viele Mieter ihre Balkone zu Wintergärten umgebaut – unvereinbar mit der Denkmalpflege, die an den ursprünglichen Fassaden nach Taut festhalten wollte. Nach langen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf einen Kompomiss: Die Straßenfassade wurde original wiederhergestellt, die Verglasung der Balkone auf der Gartenseite durfte bleiben. Der an der der Sanierung beteiligte Architekt Gisbert Knipschee räumt ein: „So ein Gebäude steht schließlich nicht isoliert in seiner zeitgeschichtlichen Entwicklung.“ Aus Erfahrung klug geworden, veranstalten die Wohnungsbaugesellschaften inzwischen vor jeder Sanierung einer Taut-Siedlung Mieterversammlungen, auf denen über die Umbauten und das Tautsche Wohnkonzept aufgeklärt wird.

Dass es in der Paul-Heyse-Straße Mieter gibt, die schon in der dritten Generation dort wohnen, beweist, dass Tauts Modell aufgeht. Auch die kleinen Wohnungen sind in Anordnung und Proportion der Räume gut geschnitten. Kein Zimmer ist kleiner als zwölf Quadratmeter, viele Wohnungen haben Balkons.

Die Tautschen Farbvorstellungen dagegen finden weitaus weniger Anklang. Das Rentnerehepaar Engelhardt etwa glaubt nicht an die von der Denkmalpflege verfochtenen ausgeklügelten Farbkompositionen. Der bunte Anstrich sei aus der Not geboren: „Das ist aus einer Zeit, als keine Farbe da war. Da hat man genommen, was gerade da war.“

Freilich finden sich auch Taut-Fans, die dessen Farbenlehre sogar in privaten Wohnräumen übernehmen. Das Wohnzimmer in Rot, das Schlafzimmer in Grün, der Flur in Gelb – das befriedige, so Taut, die Gefühlsebene nachhaltig, die bislang von Kitsch und Bildern an den Wänden genährt wurde.

Von derlei ästhetischen Überzeugungen sind die Burkhardts indes weit entfernt: „Unsere Holzvertäfelung bleibt dran!“, sagt Herr Burkhardt trotzig.

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