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Entdeckung eines „verrückten Holländers“

■ Der vergessene niederländische Literat Nico Rost hätte allen Grund gehabt, die Deutschen zu hassen. Warum er es nicht tat, zeigt eine Ausstellung in der Weserburg

Bald begann das Goethejahr, und Wilfried F. Schoeller suchte wegen eines Beitrags für den Kulturkanal „arte“ nach einem Thema. Die Motive „Goethe in Weimar“, „Goethe und die Frauen“ oder „Goethe und die Naturwissenschaften“ waren entweder zu verbraucht oder schon vergeben, wusste der Fernseh-Literaturchef beim Hessischen Rundfunk. Doch eines Tages hat sich Schoeller an ein Buch erinnert, das er vor vielen Jahren gelesen hatte und in dessen Titel der deutsche Dichterfürst erwähnt wird. Es heißt „Goethe in Dachau“ und wurde von einem in Vergessenheit geratenen Niederländer namens Nico Rost geschrieben. Es ist der Schlüssel zu einer tragischen, kaum ganz verstehbaren und gerade deshalb faszinierenden Geschichte vom deutschen Vierklang der Dichter, Denker, Richter und Henker. Schoeller hatte also nicht nur sein Thema für jenen „arte“-Beitrag gefunden, sondern auch genug Stoff für eine Neuauflage des Buches und eine Wanderausstellung, die jetzt im Neuen Museum Weserburg zu sehen ist.

Da hängt ein Foto und zeigt den an eine Wand gelehnten Nico Rost (1896-1967). Eine Zigarette im rechten Mundwinkel steht er etwas verwegen da und blickt mit dem Anflug eines Lächelns in die Kamera. So sah er in wohl glücklicheren Tagen aus, dieser Niederländer Nico Rost, der fast sein ganzes Leben lang auf eine wohl einzigartige Weise mit dem Glanz und der Fratze Deutschlands verbunden war. Er liebte Goethe und deutsche Literatur. Und er war fast ein Jahr in Dachau gefangen. Er mokierte sich über den niederländischen Chauvinismus. Und ihm raubten Deutsche dreimal – 1933, 1943 und zuletzt 1951 in der DDR – seinen ganzen Besitz. Kurzum: Er hätte Grund genug gehabt, den „großen“ östlichen Nachbarn seines Heimatlandes zu hassen, doch er tat es nie.

Nico Rost ist 1896 in Groningen geboren. Nach einem frühen Bruch mit seinen Eltern und einem geis-teswissenschaftlichen Studium arbeitete er zunächst als Journalist in Amsterdam. Seit 1923 hält er sich in Deutschland auf und ist zwischen 1926 und 1933 als Kulturkorrespondent in Berlin tätig. Er wird in die Kreise des legendären „Romanischen Cafés“ an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eingeführt und freundet sich mit Egon Erwin Kisch, Else Lasker-Schüler, Gottfried Benn und zahlreichen weiteren LiteratInnen an. Schon bald wird er zum bedeutendsten Übersetzer deutscher Literatur ins Niederländische. Doch ab 1933 macht auch er nach und nach Bekanntschaft mit der Hölle.

„Ich bin hier der verrückte Holländer, der Bücher verschlingt und Papier frißt“, schreibt Rost in seinem Tagebuch „Goethe in Dachau“. Unter Lebensgefahr hat er es während seiner Haft im Konzentrationslager nördlich von München auf jeder beschreibfähigen Unterlage angelegt. Bald nüchtern und bald rührend schildert er den Lageralltag. Diese Schilderungen sind durchzogen von Lob- und Verachtungsäußerungen über Mitgefangene und – über Literatur, zu der er während eines Lazarett-Aufenthalts Zugang hat und die in seinen Beschreibungen fast zu einem Wesen aus Fleisch und Blut wird. Die Bücher sind ihm Überlebensmittel. In Tagen der Todesangst vor Flecktyphus zitiert er Tucholsky: „Ich würde mir selber riesig fehlen.“ Und dann: „Literatur – selbst angesichts des Todes? Warum eigentlich nicht?“

Bereits 1948 erschien „Goethe in Dachau“ auf Deutsch. In der BRD wurde das Buch laut Schoellers Recherchen nicht verkauft. In der DDR las man Rost, bis der Titel 1951 aus den Läden genommen und der Autor aus seiner neuen Wahlheimat ausgewiesen wurde. Es ist Schoellers Verdienst, diese Aufzeichnungen jetzt in einer Neuauflage wieder zugänglich gemacht zu haben. Seine Ausstellung zum Thema ist mehr als ein „Abfallprodukt“ und weist doch die typischen Probleme auf. Sie ist eine dieser mit viel Liebe und großem Aufwand zusammengetragenen Biographie-Schauen. Ein Ausstellungsmacher wie Schoeller freut sich über jede Relique, weil sich mit ihr Biographenstolz und ganze Geschichten verbinden. Die BesucherInnen aber streifen manchmal etwas ratlos an Bildern, Biographie-Schnipseln und hinter Vitrinenglas verborgenen Originalen vorbei. Man weiß nicht, wie sehr man sich in gebückter Haltung ins Thema vertiefen soll. Und doch spannt die um Lithographien von Käthe Kollwitz und George Grosz sowie um Bilder des Künstlers Armando ergänzte Ausstellung einen Bogen durch ein dramatisches Kapitel Zeitgeschichte. Und sie macht neugierig auf einen vergessenen, überaus interessanten und – wie man früher sagte – höchst anständigen Mann. ck

Bis zum 5. Dezember im Neuen Museum Weserburg, Teerhof

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