: „Besser als auf der Straße“
Wohnunterkunft Billbrookdeich muss bis Ende Dezember geräumt werden. Das erfuhren die Bewohner jetzt ■ Von Sandra Wilsdorf
Irgendwann will er „mal wieder auf die Füße kommen: eigene Wohnung, Arbeit und so“. Aber so lange er das nicht hat, „ist es hier immer noch besser als auf der Straße“. „Hier“ ist die Wohnunterkunft Billbrookdeich. Hier lebt er seit 14 Jahren. Aber nicht mehr lange. Bis zum 31. Dezember müssen er und die anderen Männer raus. Das hat der städtische Träger pflegen & wohnen den knapp 90 Alleinstehenden vergangenen Freitag mitgeteilt. „Die Stimmung ist beschissen, die Leute wissen nicht, was mit ihnen passiert“, sagt der Bewohner, der lieber anonym bleibt. Er selber dürfe vermutlich mit einem Kumpel mitziehen. „Der ist pflegebedürftig und kommt an der Bürgerweide unter, ich kann wohl mit und mich um ihn kümmern.“
Und: „Das ist ganz gut, trotzdem geht das hier alles viel zu schnell. Vor allem reißen die damit ganze Freundeskreise auseinander“, klagt er. Ein anderer Bewohner weiß noch nicht, wo er hingeht. „Die Stimmung ist ganz schlecht, einige denken an Selbstmord.“ Pflegen & wohnen und Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) haben gemeinsam beschlossen, die Unterkunft am Billbrookdeich „umzuwidmen“: Hier sollen künftig Flüchtlinge leben.
„Es kommen immer mehr Flüchtlinge auf eigene Faust nach Hamburg, die die Stadt unterbringen muss. Und weil man Obdachlose leichter in Wohnungen unterbringen kann als Flüchtlinge, liegt die Idee nahe, Einrichtungen umzuwidmen“, sagt Petra Bäurle, Sprecherin der BAGS. Die Behörde verhandle derzeit zusätzlich mit verschiedenen Einrichtungen, aber es sei schwierig geworden, welche zu finden, die im Stadtteil akzeptiert werden.
„Wir wissen, dass das nicht für alle Bewohner leicht ist, aber man darf nicht vergessen, dass die Bewohner öffentlich wohnen, nicht in einer Mietwohnung“, sagt Winfried Sdun von pflegen & wohnen. Das Unternehmen bemühe sich, den Männern bei der Wohnungssuche zu helfen, fordert sie auf, sich Dringlichkeitsscheine zu besorgen und bietet Beratung an. „Wer es bis Ende des Jahres nicht schafft, dem bieten wir eine Unterbringung in anderen Unterkünften an“, verspricht Sdun. Man würde auch versuchen, Männer in Wohngemeinschaften zu vermitteln, die zusammen bleiben wollen. Sdun verspricht: „Es wird niemand auf der Straße sitzen.“
Der Arbeitskreis Wohnraumversorgung nennt das Vorgehen von pflegen & wohnen und BAGS mit nur sechs Wochen Frist für die Bewohner ein „schönes Weihnachtsgeschenk“ und ein „menschenverachtendes Verhalten“, angesichts der Menschen in der Stadt, die zwar einen Dringlichkeitsschein, aber trotzdem keine Wohnung haben.
Zur Wahl des Zeitpunktes so kurz vor Weihnachten sagt pflegen & wohnen-Sprecherin Inge Prieß: „Der Zeitpunkt ist immer unglücklich, und irgendwann müssen wir es ja machen.“ Außerdem begreift sie das Ganze „auch als Chance, diesen Anstoß zu nutzen und eine Wohnung zu finden“. Ein echtes Weihnachtsgeschenk.
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