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■ Der albanische ethnische Nationalismus im Kosovo unterscheidet sich nicht mehr von dem der Serben vor dem KriegKeiner schaut noch hin

Die Welle der Gewalt wirft einen dunklen Schatten auf die Nato-Intervention

Die Vertreibung und Ermordung der Kosovo-Serben begann an eben jenem Tag, an dem die jugoslawischen Truppen ihren Rückzug aus dem Kosovo einleiteten. Die Gewalt, zunächst Folge der schieren Wut, richtete sich gegen diejenigen Serben, die am Unterdrückungs- und Terrorsystem des Belgrader Regimes mitschuldig geworden waren. Verständlicherweise, wenn auch nicht unbedingt gesetzestreu, schaute die Welt in eine andere Richtung. Aber bald darauf gingen auch Roma-Wohngegenden in Flammen auf. Und als im August kosovarisch-albanische Milizen 14 serbische Bauern in dem Dorf Gracko massakrierten, war deutlich geworden, dass sich die Gewalt nun kollektiv gegen unerwünschte ethnische Gruppen richtete. Die Schrift stand an der Wand: Kosovo wird nicht nur serbenfrei, es wird ethnisch rein.

Die Botschaft kam bei den Serben an: Selbst jene serbischen Bürger aus Städten wie Priština, die friedlich mit ihren albanischen Nachbarn zusammengelebt hatten, flohen entweder in die serbischen Enklaven oder nach Serbien selbst. In den ersten Wochen nach Kriegsende hatten einige kosovarische Serben sich der Illusion hingegeben, sie könnten auch weiterhin im Kosovo leben. In größeren Städten arbeiteten viele Serben weiter. Auf den Straßen wurde offen Serbokroatisch gesprochen. Aber das änderte sich fast über Nacht. Serbische Enklaven und vorwiegend von Serben bewohnte Gebäude verwandelten sich in Festungen, beschützt von bewaffneten KFOR-Soldaten mit Panzern und Hubschraubern. Viele Serben trauen sich nur hinaus, um die KFOR-Soldaten zu bitten, sie und ihre Familien endgültig aus dem Kosovo zu bringen.

Auch wenn die internationale Gemeinschaft weiterhin auf einem multi-ethnischen Kosovo besteht – bis zum Ende dieses Winters wird im Kosovo wahrscheinlich nur noch eine Handvoll älterer Serben und orthodoxer Mönche leben. Praktisch zum ersten Mal in seiner Geschichte wird Kosovo ein ethnisch homogenes Gebiet sein. Die Möglichkeit einer „Rückkehr der Minderheiten“ – Lieblingsbegriff der internationalen Gemeinschaft – ist ebenso ausgeschlossen wie in der bosnischen, von Kroaten dominierten West-Herzegowina oder der Republika Srpska.

Als im letzten Monat der bulgarische UN-Angehörige Valentin Krumov ermordet wurde, bedeutete dies eine weitere Eskalation des ethnischen Denkens und des Terrors: ein hässlicher, dunkler Aspekt in der sich herausbildenden politischen Kultur der Kosovo-Albaner. Krumov wurde auf Prištinas Hauptstraße in den Kopf geschossen, nur wenige Stunden nach seiner Ankunft im Lande. Anscheinend hatte er eine Frage auf Serbokroatisch beantwortet.

Nach einer Version wurde er für einen Serben gehalten. Dies würde bedeuten, dass inzwischen jeder Serbe, ob in der Region bekannt oder unbekannt, ob kosovarischer Serbe oder amerikanischer Emigrant, zur möglichen Zielscheibe geworden ist – überall im Kosovo, und sei es auch nur einen Steinwurf vom UN-Hauptquartier entfernt. Nach einer anderen Version wurde er ermordet, weil er ein Slawe ist – damit wären im Kosovo Bulgaren, Russen, Kroaten usw. unerwünscht. Für die Gorani, eine muslimisch-slawische Minderheit im Kosovo, wäre das nichts Neues – sie leben seit Monaten unter dem Druck ihrer albanischen Nachbarn. Und schließlich wurde Krumov vielleicht einfach deshalb ermordet, weil er auf den Straßen des Kosovo eine slawische Sprache sprach; dort sind inzwischen alle kyrillischen Namen von Straßen und Plätzen übersprüht. Wie bei den bosnischen Serben in Bosnien läuft alles darauf hinaus, in einem eroberten Territorium sämtliche Spuren einer anderen Kultur zu tilgen.

Die neue Welle des Terrors muss endlich auch das Ende für die peinliche Entschuldigungslitanei der Kommentatoren und internationalen Politiker für die Kosovo-Albaner bedeuten. Die einseitige Identifikation mit den (ehemaligen) Opfern hat sie für die Tatsache blind gemacht, dass sich der albanische ethnische Nationalismus von seinem serbischen Gegenüber in nichts unterscheidet. Die politische Philosophie der Kosovo-Albaner ließ sich niemals mit der der bosnischen Muslime – und der anderen Bosnier – vergleichen, die aufrichtig ein multi-ethnisches Ideal anstrebten. Man kann nicht länger behaupten, dass die Kosovo-Albaner sich nur an denen rächen, die sich an Kriegsverbrechen beteiligten. Auch die Behauptung, verantwortlich sei lediglich eine radikale, nicht repräsentative Randgruppe, ist unhaltbar. Die meisten Kosovo-Albaner schauen einfach weg. Mit wenigen Ausnahmen – wie den Journalisten der Tageszeitung Koha Ditore – haben die Kosovo-Albaner und ihre Führer herzlich wenig Zivilcourage an den Tag gelegt. Die Welle der Gewalt wirft unvermeidlich einen dunklen Schatten des Zweifels über die internationale Intervention im Kosovo, die unter anderem mit dem Schutz der allgemein gültigen Menschenrechte gerechtfertigt wurde. War es das wirklich wert, wenn die Opfer kehrtmachten und ihre ehemaligen Bedrücker verfolgen? Nur abgebrühte Zyniker könnten behaupten, immerhin verfolge jetzt die Mehrheit die Minderheit und nicht umgekehrt. Das Ganze ist schlicht und einfach eine ethnische Säuberung; die Logik des ethnischen Nationalismus wird bis an seine äußerste Grenze getrieben, genauso wie in Bosnien, Kroatien und früher im serbisch beherrschten Kosovo. Und im Kosovo geschieht es jetzt unter den Augen der Nato, der UN und der OSZE.

Es ist bezeichnend für die Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, die eine Strömung des unterentwickelten politischen Denkens der Kosovo-Albaner kennzeichnet, und mit Sicherheit wird es eine gewisse Rolle in der politischen Zukunft des Kosovo spielen. Diese Kräfte, bis vor kurzem noch undeutlich und unbenannt, wagen sich inzwischen an die Öffentlichkeit. Die kürzlichen Angriffe von Kosovopress, einer der KLA nahestehenden Nachrichtenagentur, gegen die Redaktion von Koha Ditore (sie wurde als Verräter, proserbisch, ihre Mitarbeiter als verkappte Serben, Bastarde und Idioten bezeichnet) zeigen, dass sich ihr Hass nicht nur gegen ethnische Minderheiten richtet.

Die Behandlung der Minderheiten durch die Kosovo-Albaner muss zur Sprache kommen, wenn über den endgültigen Status des Kosovo entschieden wird. Die Unabhängigkeit, das angestrebte Ziel, kann nicht die Belohnung für ethnische Säuberung sein. Auf kürzere Sicht sollten Wahlen und die Hilfe beim Wiederaufbau eingestellt werden, bis die Säuberungen aufhören.

Die Spuren der serbischen Kultur werden im Kosovo derzeit radikal getilgt

Aber das würde nichts rückgängig machen: Es gibt jetzt auf dem Balkan einen weiteren ethnisch gesäuberten Flecken, und so wird es auch bleiben. Paul Hockenos

Übersetzung: Meino Büning

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