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Millennium-Terror    ■ Von Karl Wegmann

Als anno 1978 die Weltraumoperette „Star Wars“ bei uns gezeigt wurde, sorgte sich der hiesige Verleiher liebevoll ums dumme deutsche Volk. Luke Skywalker und Darth Vader durften ihre Ami-Namen noch behalten, aber dieser Han Solo gurkte mit einem Gefährt durchs Lichtspiel, das er Millennium Falcon nannte. Total unverständlich – fand das deutsche Synchronstudio und machte daraus „Der rasende Falke“. Zwar hatte selbst die teutonische Landbevölkerung noch nie einen Falken rasen gesehen und schon gar nicht im Weltraum, aber egal, die Übersetzer hatten ihr Bestes gegeben. Trotzdem gab's Proteste, und so heißt Solos schneller Raumkreuzer im zweiten Teil korrekt und ziemlich deutsch „Millennium Falke“. Die Kids griffen zum Wörterbuch, fanden den Begriff, stutzten kurz („Jahrtausend Falke“, „Tausendjähriger Falke“???) und trösteten sich dann damit, dass in Hollywood und in der Liebe schließlich alles erlaubt ist.

Heute dagegen könnte man schon wieder bedenkenlos unkorrekt übersetzen, denn der inflationäre Gebrauch des Wortes MILLENNIUM führt allmählich zu schweren gesundheitlichen Schäden. Alles ist Millennium, alles wird mit Millennium verscheuert, jeder möchte Millennium sein – das Wort ist so unverständlich wie damals im „Krieg der Sterne“. „Millenniums-Sekt“ geht ja noch, aber die Telekom lässt zum Beispiel einen finnischen Autorennfahrer von Plakatwänden fordern: „Mobil ins Millennium“. Der Musikexpress prahlt mit einem „Millennium Special“ und behandelt doch nur in groben Zügen die letzten 70 Jahre Popmusik. In anderen Zeitungen liest man in diesen Tagen Schlagzeilen wie: „Handel entdeckt den großen Millennium-Markt: Jubelzahl 2000 stiehlt dem Advent die Schau“. Soso. Und damit aus „dem Silvester-Partyraum ein funkelnder Jahrtausend-Tempel“ wird, werden angeboten: Millennium-Champagner-Kelche in Sterling-Silber, Millennium-Marzipan-Schweine (mit Millennium-Kleeblatt im Maul), ein Millennium-Duft („2000 – Live the Future“) und so weiter. Man möchte schreien, heulen, weglaufen – nutzt aber alles nichts: Millennium ist überall – so auch bei Bushmills. Nun ist die Old Bushmills Distillery so etwas wie der Mailänder Dom unter den Schnapsbrennereien – wunderschön, unberührbar, heilig. Reklame haben sie nicht nötig. Denkste! Auf ihrem 12 Jahre alten „Bushmills 1608“ („limited edition“) prangt ein Aufkleber: „Win The 20 Year Old Bushmills Millennium Barrel“.

Nach dem ersten Blick ist man geneigt, sich angewidert abzuwenden und sofort auf schottischen Lowland Malt umzusteigen, doch dann siegt der gute Geschmack (der sich laut Frank McCourt überall dort breitmacht, wo die Phantasie sich verabschiedet hat). Ein ganzes Fass 20 Jahre alter irischer Whiskey? Heilige Hölle! Dafür können sie mich gerne die nächsten Monate mit Millennium-Tampons, Millennium-Mundwasser und Millennium-Hundekuchen bombardieren. Also her mit dem Millennium- Preisausschreiben, ausgefüllt und abgeschickt. Ein ganzes Fass! Mal sehen, ein englisches Barrel für Bier fasst ungefähr 164 Liter, das wäre dann ... Oh mein Gott, da könnte ich ja sogar Ralf Sotscheck ein- oder zweimal einladen. „Millennium Barrel“ – super Idee.

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