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Die Nachzügler der Wende

■  Eine Woche nach dem Fall der Mauer demonstrierten auch die Studenten. Zehn Jahre später leidet die Humboldt-Universität unter allen Krankheiten des westlichen Uni-Systems

Die Studenten feiern als Letzte. Leipziger Montagsdemonstranten und Berliner Mauerspechte haben das zehnjährige Jubiläum ihrer revolutionären Heldentaten längst hinter sich, da haben sich auch die Jungakademiker einen Tag im Kalender rot angestrichen: Am 17. November 1989 trafen sich 10.000 Studierende aus ganz Ostdeutschland in Berlin – zur „ersten Studentendemonstration in der Geschichte der DDR“. Obendrein trat der frei gewählte Studentenrat zusammen, und die studentische Zeitung erschien zum ersten Mal.

Die historische Verspätung hatte System. Im Wendeherbst standen die Universitäten nicht an der Spitze der Bewegung. Die meisten Professoren, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, sahen ihr Weltbild zerstört. Aber auch die Studenten haben auf die Ereignisse eher reagiert, als dass sie selbst agiert hätten.

Dieses Bild der regimenahen Kaderschmiede, das die Humboldt-Universität nach außen vermittelte, wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Denn nicht wenige Politiker und Wissenschaftler im Westen sahen es als selbstverständlich an, dass die Dozenten und Studenten der Westberliner Freien Universität (FU) jene historischen Gebäude wieder in Beschlag nehmen würden, die sie 1948 wegen politischer Repression verlassen hatten.

Doch die FU-Wissenschaftler zogen es vor, im idyllischen Dahlem zu bleiben – und in der Wissenschaftspolitik trieb ab 1991 der neue CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt seinen Plan voran, die alte Linden-Universität mit ihrer großen Tradition zur repräsentativen Hochschule auszubauen. Dass dabei das böse Wort von der „Elite“ gefallen sei, bestritt Erhardt später vehement.

Ohne Zweifel aber wurden die Aufbaupläne damals so verstanden. Auch von der eingeschworenen Gemeinschaft der „Althumboldtianer“, die schnell merkten, dass sie den Plänen des Senators nur im Wege standen. Sie erkoren sich ihren Rektor Heinrich Fink zur Symbolfigur des Kampfs gegen die Abwicklung: „Unsern Heiner nimmt uns keiner.“ Umgekehrt wurde der Theologe mit gerichtlich festgestellter IM-Vergangenheit zum Inbegriff mangelnden Erneuerungswillens.

Fast ein Jahrzehnt später sind diese Schlachten längst vergessen – auch wenn der Kampf zwischen Ost und West, mit subtileren Mitteln ausgefochten, hinter den Kulissen von Verwaltung und Professorenschaft noch immer heftig tobt. Die Dozenten der geistes- und sozialwissenchaftlichen Fächer freilich können mit Fug und Recht behaupten, von einem Ost-West-Konflikt nichts zu bemerken: Ostdeutsche finden sich in ihren Reihen kaum.

Das „Elite“-Konzept ist insofern aufgegangen, als sich das Personalverzeichnis mittlerweile fast wie ein Who ist Who der deutschen Wissenschaftsprominenz liest. Die hochkarätigen Berufungen aber können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hochschule mit dem westdeutschen Wissenschaftssystem auch dessen Mängel importierte.

Längst leidet die Humboldt-Uni unter allen Symptomen der Massenuniversität. So hat der studentische Andrang sich von der FU im beschaulichen Dahlem in die Innenstadt verlagert. Obendrein ist der Raum- und Büchermangel angesichts leerer Kassen noch immer nicht behoben. Und vor diesem Hintergrund haben nicht wenige Professoren die typisch deutsche Flucht in die Existenz von Privatgelehrten angetreten. Während die Hochschule in Forschungsranglisten immer höher steigt, schneidet sie im studentischen Urteil eher mäßig ab. Die Humboldt-Universität ist zu einem Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Ralph Bollmann

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