: Die vierte Unterschrift ist die wichtigste
■ Schlusserklärung, KSE-Vertrag, Charta? Der bedeutsamste Vertrag regelt Bau neuer Pipeline ohne russische Beteiligung
Am schnellsten vergessen sein wird die in Istanbul am heftigsten umkämpfte Gipfel-Schlusserklärung. Unter Punkt 23 wird hier der aktuelle Tschetschenien-Konflikt abgehandelt, darüber hinaus geht die Schlusserklärung noch auf die anderen Regionalkonflikte ein, in denen die OSCE engagiert ist: Kosovo, Nagorny-Karabach, Moldawien-Transnistrien und der Südossetien-Konflikt in Georgien sind die wichtigsten OSCE-Missionen. Während die Schlusserklärung eher einer Momentaufnahme gleicht, sind die „Charta für europäische Sicherheit“ und der aktualisierte KSE-Vertrag über die Limits konventioneller Waffen in Europa als dauerhafte Verträge angelegt. Rechtlich verbindlich ist jedoch allein der KSE-Vertrag.
Der KSE-Vertrag muss von den Parlamenten der Mitgliedsländer verabschiedet werden (das, so Clinton und Schröder, wird erst geschehen, wenn die Russen ihr Limit einhalten) und enthält dann auch Regelungen für die Verifikation und die permanente Überwachung. Im KSE-Vertrag ist festgelegt, wie viele metallbewehrte Kampfgefährte, Kampfflieger, Kampfhubschrauber und schwere Artillerie jedes Mitgliedsland haben darf. Darüber hinaus wird definiert, wo diese Waffen stationiert werden können. Für Russland gilt die Einschränkung des Vertrages nur für das Gebiet westlich des Urals – was die Russen entlang des chinesischen Territoriums oder sonst im asiatischen Teil des Landes treiben, ist durch den KSE-Vertrag nicht berührt. Eine territoriale Ausnahme gilt übrigens auch für die Türkei. Das Gebiet in der Nähe Syriens, also die kurdischen Gebiete, sind vom Vertrag ausgenommen. Die Anpassung des KSE-Vertrages war nötig, weil die erste Fassung von 1990 sich noch an den alten Pakten orientierte.
Die Charta für Sicherheit in Europa ist dagegen eher ein hehrer Absichtskatalog, mit dem künftig alle Konflikte friedlich und im Sinne humanitärer Erwägungen gelöst werden sollen, als eine verbindliche Festlegung für die Staaten. Der wahrscheinlich wichtigste Vertrag, der in Istanbul unterschrieben wurde, gehörte gar nicht ins OSCE-Programm.
Am Rande des Gipfels unterschrieben Aserbaidschan, Georgien und die Türkei den Vertrag für den Bau einer großen Öl- und Gaspipeline von Baku an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Diesem Vertrag sind Kasachstan und Turkmenistan angegliedert, weil sie durch Anschlusspipelines ebenfalls an das Großprojekt gekoppelt werden sollen. Quasi als Notar wurde der Vertrag noch von den USA mit unterschrieben. Für die USA ist diese Unterschrift ein großer Erfolg, weil durch die Pipeline, die 2004 fertiggestellt werden soll, endlich die Ausbeutung der kaspischen und asiatischen Energieressourcen unter Umgehung Russlands und des Irans möglich wird. Nicht ohne Hintergedanken führt Russland den Krieg im Kaukasus auch, weil es weiterhin seine Ölrouten vom Kaspischen bis ans Ufer des Maurischen Meeres kontrollieren will.
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