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Modernes AntiquariatVom anderen Ufer

■ Flotter Vierer auf'm Wannsee: „Holz“ von Thomas Meinecke

Vor dem Boom war auch schon Boom: Wir stellen in unregelmäßigen Abständen Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.

Damals war alles anders. Damals wohnten die jungen Schriftsteller nicht sowieso schon alle in Berlin. Man musste sie mit Stipendien regelrecht dazu überreden, doch mal ein paar Wochen in der Stadt zu verbringen. Und wenn man sie dann ein Vierteljahr lang in einer schmucken Villa am Wannsee umgarnt hatte, bekam man zum Dank auch noch ihren Unmut zu spüren.

So hatte zum Beispiel gerade der Kassenwart dem Nachwuchsschriftsteller „ein dickes Bündel Geldscheine“ in die Hand gedrückt, da wird dem jungen Talent schmerzlich bewusst, dass er „der Gast einer so verlorenen wie niemals verlorenen gegebenen Stadt war, die mich allein deshalb eingeladen hatte, damit ich sie, die sich nicht ohne Grund zur hohlen Metapher erstarrt wähnte, mit erneutem, dazu noch geschriftstellertem Sinn legitimierte“.

Das waren die Achtzigerjahre. Der Berliner Kultursenator verfügte über geradezu unbegrenzte Geldmengen, die er an Literaten verteilen durfte, und wer sich auf diese Art dazu überreden ließ, einen Roman zu schreiben, passte gut darauf auf, seinen Text poststrukturalistisch, dekonstruktivistisch, aber auf jeden Fall irgendwie ironisch zu zerbröseln – um sich bloß nicht an der von der Kulturpolitik vorexerzierten Sinnproduktion zu beteiligen. Thomas Meineckes 1988 erschienene Erzählung „Holz“ ist dafür, einmal ganz unironisch gesagt, ein schönes Beispiel.

Der Erzähler, ein junger Schriftsteller, sitzt in der Stipendiaten-Villa (das Literarische Colloquium am Sandwerder, natürlich). Eigentlich sollte er sich brav an der Mauer abarbeiten und einen literarisch abgesicherten Promotionstext für die geteilte Stadt schreiben. Stattdessen begibt er sich in ein ganz anderes Grenzland, das man in den Neunzigern dann „gender“ nennen wird.

An einem frostigen Januartag spaziert der Writer-in-exile am zugefrorenen Wannsee entlang. Da kommen ihm aus Richtung Potsdam drei junge Damen über die Eisfläche entgegen: Gisela, Marlies und Elke. Die drei sind Republikflüchtige, also aus der Perspektive des Erzählers ganz wörtlich vom anderen Ufer, darüber hinaus aber auch: lesbisch. Der einsame Schriftsteller verliebt sich sogleich in Marlies, und weil er eben ein Mann und keine Lesbierin ist, wird die ganze Geschichte ziemlich kompliziert.

Ist natürlich keine wirkliche Geschichte. „Geschichten erzählen“ war damals, in den 80ern, nicht angesagt, und weil Thomas Meinecke ein prinzipientreuer Mensch ist, hat er das gerade erst noch einmal in einer kleinen Grundsatzerklärung in der Spex bekräftigt: „Handlung lenkt ab.“

Auch in „Holz“ passiert darum – im aristotelischen Sinne – nicht viel. Der Erzähler führt weder Plan Nummer eins zu Ende (Marlies' Liebe zu gewinnen) noch Plan Nummer zwei (den Regierenden Bürgermeister Berlins zu erschießen: „Ein Opfer musste her“). Statt dessen springt er entsubjektiviert, als frei flottierendes Zeichen, durch die Grenzlandschaften des binationalen und mehrgeschlechtlichen Begehrens: „Holz“, das ist sozusagen die Pointe (aber auch Pointen lenken natürlich ab), höhlt die „hohle Metapher“ Berlin nicht noch weiter aus, sondern stopft sie bis an den damals ja noch sehr scharf abgegrenzten Rand voll mit diskursiven Kalauern.

Ein paar mehr solcher „Erzählungen“, und man hätte Berlin zumindest als Idee damals, vor 1989, endgültig in die Luft jagen können. Die ganzen schönen Berlin-Romane der Neunzigerjahre gäbe es dann wahrscheinlich nicht. Man stelle sich das einmal vor. Kolja Mensing

Thomas Meinecke: „Holz“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 108 Seiten, 12,80 DM

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