: Schlampen im Bundesrat
■ Gesundheitsreform erhielt nicht mal die SPD-Stimmen, weil 24 Druckseiten fehlten
Hannover (taz) – Die rot-grüne Gesundheitsreform 2000 ist in ihrer geplanten Fassung gescheitert. Der Bundesrat stoppte gestern in Bonn das umstrittene Gesetzeswerk, das der Bundestag am 4. November verabschiedet hatte. Die Regierung will nun nächste Woche den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen.
Die Union sieht jedoch auch dort keine Chancen für einen Kompromiss. Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) will ihr Gesamtgesetz daher auf ein im Bundesrat zustimmungsfreies Restpaket abspecken, das sie noch vor der Weihnachtspause durch den Bundestag bringen will. Die Unionsvertreter erneuerten ihre Kritik an diesen Plänen. Dagegen verteidigten Fischer und SPD-Minister die Reform.
Das Gesetz erhielt im Bundesrat keine einzige Jastimme. Nicht nur die unionsgeführten Bundesländer lehnten die Reform ab. Auch die SPD-geführten Länder stimmten nicht für die vorliegende Version. Grund war die technische Panne bei der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament: 24 Textseiten fehlten in der Druckvorlage und wurden nicht mitbeschlossen. Diese enthielten die Milliardenhilfen für die Ost-AOK.
Die Regierung will die Ost-Finanzhilfe in der am 2. Dezember beginnenden Vermittlungsrunde nachreichen. Gesundheitsministerin Fischer will nun ihre Reform entflechten und ein zustimmungsfreies Paket schnüren. Dabei muss sie aber Kernelemente deutlich abändern, um den Bundesrat zu umgehen. Dies gilt vor allem für die bisher geplante Ausgabenbegrenzung durch ein Globalbudget.
Im Gespräch ist, die geltende Ausgabenbegrenzung getrennt für Ärzte, Arzneien und Kliniken zu verlängern oder das Gebot stabiler Beitragssätze zu verschärfen. Die Haftung der Ärzte für das Arzneibudget, die Stärkung der Hausärzte, das neue Preissystem für die Kliniken und die Förderung von Prävention und Rehabilitation lassen sich voraussichtlich in ein zustimmungsfreies Paket stecken. Dagegen bleibt die Reform der Krankenhausfinanzierung vorerst auf der Strecke. Auch die Neuregelung der Datensammlung ist wohl zustimmungspflichtig.
Über die gekippten Gesetzesteile will die rot-grüne Regierungskoalition später mit der Union verhandeln. Sie rechnet allerdings frühestens nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen mit Kompromissen, da die Union die Gesundheitspolitik zum Wahlkampfthema machen will.
Die Finanzhilfen für die Ost-AOK will Fischer voraussichtlich in ein eigenes Gesetz ausgliedern. Dabei soll die Ost-AOK weniger Geld bekommen als geplant.
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