: Bier im Kondom
■ Welche Kraft/Macht haben Bilder? Und wie sieht ihre digitale Zukunft aus? Bei der zweiten Konferenz „profile intermedia“ suchten über 1.300 Menschen im Messezentrum Antworten.
Und ganz am Ende hat der Zeremonienmeister noch eine Bitte. „Schließen Sie die Augen“, sagt Peter Rea, Gastprofessor im „Intermedia Center“ der Bremer Hochschule für Künste. Und 1.300 Menschen in der Messehalle IV schließen die Augen (oder blinzeln kurz, um geschlossene Augenpaare zu zählen). „Stellen Sie sich nun“, fährt der Magier aus London fort, „die Farbe Magenta vor.“ Und 1.300 Menschen im Parkett und auf der Tribüne versuchen, Magenta – ein Beinahe-Lila – zu denken. „Magenta.“ Peter Reas Stimme wird leiser. „M-a-g-e-n-t-a ... M-a-g-e-n-t-a ... und jetzt zähle ich herunter von zehn, und dann öffnen Sie die Augen.“ Und 1.300 Menschen in der Halle öffnen die Augen. Kunstpause. „1.300 Menschen stellen sich gemeinsam Magenta vor“, bilanziert Rea, „das ist die Kraft des Bildes.“ Beifall.
Schön, wenn alles mal so einfach ist. Wenn sich die Kraft oder Macht (power) der Bilder in einem ganz friedlichen autogenen Training entfaltet. Wenn man also einfach die Augen schließt und fortan nichts mehr zu tun hat mit der Bilderflut aus Werbung, Clips, Fernsehen, Infographiken und so weiter und so fort. Doch die fünf jungen, für ihren Mut und – ja – ihre Professionalität nur zu bewundernden OrganisatorInnen der zweiten Konferenz „profile intermedia“ schauen nicht weg. Denn eines Tages werden sie ihr Geld an der Bilderflut verdienen müssen. Und schon jetzt ernten sie immerhin Respekt für ihre Arbeit zum Thema: Sie wollten Antworten – auf die Frage nach der „Kraft/Macht des Bildes und der digitalen Zukunft“, so der Konferenztitel. Und dafür haben sie namhafte bis unbekannte BildermacherInnen aus den Bereichen Typografie, Werbung, Film, Multimedia- und Web-Design oder Fotografie nach Bremen eingeladen. Promis wie Wim Wenders oder John Warwicker von der Londoner Agentur „tomato“ sagten leider in letzter Minute ab. Dafür entschädigte dann am Schluss der Überraschungsgast und Guru unter den Schrift-, Corporate-Design- und so weiter KünstlerInnen, David Carson.
Auch ohne Wenders persönlichen Auftritt klammern zwei Visionen oder Visionäre aus dem Kino die dreitägige Konferenz ein. In einem kurzfristig improvisierten Vortrag skizziert Karl-Heinz Schmid vom Kino 46 Wim Wenders Widersprüchlichkeit, die Bilderflut zu kritisieren und zugleich selbst neue Bilder zu produzieren. Noch 1990 ließ er einen seiner Protagonisten sagen: „Wer im Jahr 2000 die Bilder beherrscht, beherrscht die Welt.“ Inzwischen dreht Wenders komplett mit der Digitaltechnik DVD („Buena Vista Social Club“) und kündigt für seinen neuen Film „The Million Dollar Hotel“ sogar computergenerierte Bildsequenzen an.
Es ist halt etwas in Bewegung. Und da sind Widersprüche ebenso angemessen wie Grundsatzfragen. „Wer sind wir. Woher kommen wir. Wohin gehen wir. Und wie viel Zeit haben wir“, zitierten die OrganisatorInnen aus Ridley Scotts Film „Blade Runner“ – mit Punkten statt mit Fragezeichen am Ende der Sätze. Dieser 1982 entstandene Film hatte beim Herauskommen keine Chance gegen Spielbergs „E.T.“ und reift längst wie ein guter Rotwein zu einem der Klassiker unter den Zukunftsvisionen heran. Mit gemalten Hintergründen und federleichten Wolkenkratzer-Modellen war das Handwerkszeug für diese Vision noch ganz konventionell, so klärt Paul M. Sammon, Autor von Sekundärliteratur, über den Film auf. Aber auch Phil Crowe und Barnsley, zwei Jungs von der britischen Film- und Videoproduktionsfirma „The mill“, geben in zauberhaftem „The making of“-Geplauder zu, dass man mit dem Platzen eines mit Bier gefüllten Kondoms wunderbar die Explosion eines Autos simulieren kann. Das sind dann die zwei Prozent Echt-Film in einem zu 98 Prozent am Computer generierten Werbespot. Doch sowohl der Spot als auch Scotts „Blade Runner“ haben das alte Ziel: das der gut gemachten bis perfekten Illusion. Und sie erreichen es.
Aber zurück zu den Visionen. Zurück zu den Fragen, wohin die Reise gehen soll. Beherrscht Bill „Microsoft“ Gates die Bilder, wenn seine Enzyklopädie „Encarta“ zu einem universellen Wissensschatz wird? Nivelliert MTV die Unterschiede zwischen Religionen, Sprachen, Dialekten und Kulturen, wie der junge indische Designer Raj Kurup – mit ironischem Unterton – während seiner Präsentation anmerkt? Werden wir uns eines Tages, wie der Chef des Karlsruher Medienkunstzentrums ZKM Peter Weibel in einem Magazin-Interview sagt, Chips einpflanzen lassen und das Gehirn damit zur Bühne für die ganz große Gameshow machen? In einzelnen Präsentationen werden Antworten auf solche Fragen nach der digitalen Zukunft bei der „profile intermedia“ angedeutet. Doch der rote Faden, die ordnende Hand, die inhaltliche Zusammenfassung oder etwas Ähnliches fehlt. Peter Rea, der geistige Vater und kongeniale Moderator der Konferenz, träumt mit offenen Augen davon, die fortan jährlich stattfindende „profile intermedia“ zu dem zu machen, was für Kassel die Documenta und für Berlin die Filmfestspiele sind. Dafür jedoch müsste das Spektrum noch mehr erweitert werden. Denn sonst klaffen Anspruch – „Wohin gehen wir?“ – und Wirklichkeit – „Wie gestalte ich eine geile Web-Page?“ – viel zu sehr auseinander.
Zurzeit jedenfalls ist das utopisch-visionäre Interesse nur eine Nebensache. Die Konferenz ist der Tummelplatz für die Leute aus der visuellen Kommunikation. Und da wird die Frage nach der Kraft/Macht der Bilder und der digitalten Zukunft schnell vereinfacht: Wie kann man heutzutage (für Kunst und vor allem für Werbung) Bilder machen, die in der Flut nicht untergehen? Also reiht sich bei der Konferenz eine Präsentation an die andere. Die Palette ist weit. Sie reicht von politisch engagierter (Zeitungs- und Kunst-) Fotografie einer Jacky Chapman oder einer Janine Wiedel bis zum klasse gestalteten Programm zur Erzeugung elektronischer Musik von Tim Brooke und Boris Müller vom Royal College of Art in London (www.revamp.org). Sie enthält auch peinliche oder schlecht vorbereitete Auftritte oder sprüht vor gestalterischen Ideen wie die Präsentation Omar Vulpinaris oder Richard Christiansen vom Benetton/Toscani-Kreativstudio „Fabrica“.
So klatscht man den Kreativen viel Beifall bei den drei Tagen „profile intermedia“. Man unterhält sich im Foyer über all das oder nimmt an den neu eingeführten Workshops mit den ReferentInnen teil, die die Talkrunden nach den Präsentationen ersetzt haben. Drei Tage „profile intermedia“: Das ist – gemessen an der Bedeutung der hiesigen Hochschule und ihres Dunstkreises – ein bisschen zu viel Bremer Nabelschau. Und vor allem ist es ein bisschen zu viel Präsentation und zu wenig Reflektion. Da zeigt David Carson kurz vor Schluss zwar mit viel Witz und List im Vortrag neue Arbeiten (inzwischen macht er sogar Musikvideos für „Nine Inch Nails“). Und es ist klasse, einen wie Carson – neben den vielen anderen – auf einer Bühne zu erleben. Aber hatte die Konferenz nicht ein über innovative Gestaltung hinausreichendes Thema? Egal. Schließen Sie bitte die Augen und stellen sich die Farbe Magenta vor. Christoph Köster
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