■ SPD-Parteitag: Gerhard Schröder gewinnt die Basis, vorläufig: Der fürsorgliche Vorsitzende
Lange, fast zu lange, konnten sich die SozialdemokratInnen nicht so recht an das Regieren gewöhnen. Offenbar hatte das Exil in der Opposition zu lange gedauert. Die Parteimitglieder standen alles andere als geschlossen hinter der rot-grünen Regierung, zumal die zu oft vor sich hin dilettierte. Hinzu kam der radikale Abgang des Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine, der viele Genossen bitter enttäuscht hat. Nun endlich, so scheint es, hat nicht nur Lafontaines Nachfolger Gerhard Schröder die Bedürfnisse der Basis nach Zuwendung und sozialer Rhetorik verstanden, auch die Basis akzeptiert allmählich den neuen Vorsitzenden.
Kein Wunder, denn kein SPD-Parteitag ist je so gut vorbereitet worden. Auf Regionalkonferenzen quer durch die Republik hatte der SPD-Generalsekretär Franz Müntefering Schröder den Genossen nahe gebracht. Zudem hat die Partei eine Kummer-Hotline geschaltet, um zu erfahren, was die Mitglieder so denken zu Vermögenssteuer, Renten- und Gesundheitsreform. Derart umsorgt ließ sich jetzt selbst die Linke auf dem Parteitag einbinden.
Doch bleibt gerade für diesen Teil der Partei die Frage nach ihrer Identität weiterhin offen. Denn nach wie vor gilt: Die Linke folgt Schröder nicht, weil sie in ihm ihre Leitfigur gefunden hätte. Sie folgt ihm mangels Alternative und weil sie des Zankens müde ist. Ihr Idol Oskar Lafontaine hat sich nicht nur brutal entzogen, er hat durch sein Buch die linken Ideen geschwächt. Seitdem irrt die Linke kopflos umher und bemüht sich, ihre Glaubwürdigkeit und damit auch die Wähler am linken Rand nicht an die PDS zu velieren.
Genau hier beginnt der neue und schwierige Part des wieder gewählten Parteivorsitzenden und Kanzlers. Er muss es schaffen, seine Politik so zu gestalten, dass er das breite Spektrum der Menschen erreicht, die er zusammen mit Lafontaine bei den Bundestagswahlen 1998 gewinnen konnte: die so genannte „neue Mitte“ ebenso wie die gelegentlich zur PDS tendierende Linke. Der „Automann“ Schröder muss es schaffen, die beiden neuen Prämissen der SPD, „Innovation und Gerechtigkeit“, in sich zu vereinen. Pragmatismus alleine reicht nicht aus. Er kann weder bei Lionel Jospin noch bei Tony Blair abkupfern, sondern muss einen neuen, eigenen „dritten Weg“ entwickeln, der der Modernisierung Deutschlands ein neues sozialdemokratisches Gesicht gibt. Berlin war letztlich nur die Kür, jetzt kommt die Pflicht. Karin Nink
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