: Vorsicht, es wird zurückgeschenkt
Der Konsumtyp der nicht bejahenden Affirmation greift zu Aschenbechern in Arschform ■ Von Helmut Höge
Gerade heirateten die Anarcho-Poeten Thomas Kapielski (West) und Bert Papenfuß (Ost) ihre deutsch-evangelischen Bräute. Und beide Male war ich ratlos: Was schenkt man diesen Idioten um Himmels willen bloß? Nachdenklich studierte ich alle Werbeplakate und Schaufenster. Konnte jedoch nichts Schönes bzw. Brauchbares entdecken, weil ich die dumme Angewohnheit habe, nur immer das Geschriebene („Boxer-Unterhose – 11, 80 Mark“) wahrzunehmen: So habe ich früher einmal Lesen gelernt!
Bei Adorno fand ich dann den Stoßseufzer: Den Verfall der Geschenkkultur erkennt man bereits an der Existenz von Geschenkläden. In Ostberlin heißt einer „Queen of Presents“: Dort gab es nach der Wende ganze Viertel, wo nahezu alle arbeitslosen Frauen, die sich selbständig machen wollten, Geschenkeläden eröffneten.
Die letzten Überlebenden klapperte ich nun ab. Dabei stieß ich auf einen mir bis dahin unbekannt gebliebenen Ost-Kundentyp – den Anhänger einer nicht bejahenden Affirmation. Er hat einen großen Freundeskreis und ist sehr geschenkfreudig. Einer fängt an – und kauft für seine Kumpeline zum Geburtstag z.B. eine rosafarbene Tittentasse, woraufhin diese ihm wenig später schon einen silber schimmernden Aschenbecher in Arschform zurückschenkt. Ein anderes Geburstagskind bekommt Sex-Spielkarten – und revanchiert sich dafür mit einer Nachttischlampe in Form einer hohlen PVC-Frau, die bei steigender Temperatur strippt. Und ein Pärchen bekommt bei seiner Hochzeit eine Bonboniere, gefüllt mit bunten Präservativen, sowie gleich zwei Tischfeuerzeuge in Form fickender Pferde. Es läuft alles auf einen obszönen Potlatsch hinaus: „Die Geschenke müssen immer pornografischer werden“, klagt denn auch eine Geschenkboutique-Besitzerin in Oberschöneweide. Und dabei ist ihr ganzes Streben wahrscheinlich ohne Erfolg, denn die Avantgarde dieses Konsumtyps findet ihre besten Geschenke inzwischen nur noch auf den Erotik-Messen, die immer häufiger stattfinden. Auch die Sex-Shops haben zunehmend „tolle Geschenkideen“ im Angebot: Tattoo-, Piercing- und Swingerclub-Gutscheine, Vierfachvibratoren für lesbischen Kleingruppensex usw.
Laut Michael Rutschky hat das Kleinbürgertum einen unwiderstehlichen Hang, Schönes mit Nützlichem zu verbinden: Beispielhaft sind dem Kulturkritiker dafür die ebenso hässlichen wie unpraktischen Souvenir-Geschenke – etwa Muscheln mit Thermometer aus Borkum, kleine kuwaitische Kamele aus Echthaar, die als Portemonnaie dienen sollen, auch die viel gerühmten, Augen ruinierenden „Minibücher“ der DDR gehören dazu. Bei den schweinösen Geschenken des Postproletariats wird dagegen das Nützliche mit dem Pornografischen verquickt.
Zum gleichen Konsumtyp – der nicht bejahenden Affirmation – gehören aber auch noch die eher multikulturell-engagierten Intellektuellen vom Schlage meiner Freundin Dorothee. Sie hortet selbst den gröbsten Unsinn – aus dem Ausland: Wurzelholz-Masken aus Manila, bunte Lehrerinnen-Poster aus Birma, Filmstar-Postkarten aus Indien, Schlagersänger-Fotos aus der Türkei, bestickte Seidenbeutelchen aus der äußersten Mongolei, rote Mao-Feuerzeuge aus Peking, die die Internationale spielen, Ikea-Lampen hinter Berlin-Fotomotiven, hochgiftige Buntstifte aus Moskau in Tierform. Dazu kommen noch kiloweise Hotel-Geschenke: Briefpapier aus dem Hilton, Parfums aus dem Holiday Inn, Schuhcreme-Sets aus dem Grand Hotel in Helmstedt, Baikal-Faltpläne aus dem Interhotel Irkutsk, Trockenblumen aus dem Interconti Hannover ... all diese Geschenke werden von Dorothee sukzessive zurückgeschenkt: d.h., das Indien-Geschenk bekommt ihre Freundin in Soltau zum Geburtstag, und die Ikea-Lampe kriegt ihr Freund in Manila: der sich immer darüber beklagt, dass man zum nächstgelegenen Ikea bis nach Hongkong fliegen muss. Die Hotel-Parfums und -Seifen werden den Geschenkpäckchen an zwei rumänische Lehrerinnen beigelegt, weil sie in ihren Briefen mehrmals den Mangel an diesen Dingen erwähnten.
Eine Subvariante zu dieser multikulturellen Geschenkesammlung, aber auch zu den kleinbürgerlich-sentimentalen bzw. den proletarisch-obszönen Staubfängern in der Schrankwand entwickelt der energetisch-akkumulative Typ: Er sammelt alle Kleingeschenke in seiner Hausaltar-Ecke, wo sie neben ausgewählten Fotos eine Weile mit Erinnerungen und Aufmerksamkeit aufgeladen und dann ebenfalls wieder in den Geschenke-Umlauf eingebracht werden.
Am einfachsten haben es die Künstler: Sie verschenken einfach eines ihrer überall im Weg stehenden oder liegenden Herzblut-Werke. Bei den erfolgreichen Malern ist dafür jedoch der Bilderwert oft zu hoch, und die erfolgreichen Schriftsteller müssen befürchten, dass alle ihr Buch längst auswendig kennen. Bei Kapielski und Papenfuß wollte ich es gar nicht erst drauf ankommen lassen, auch Blumen waren mir zu popelig. 1.600 Mark geben die Deutschen durchschnittlich für Weihnachtsgeschenke aus – laut Frankfurter Rundschau. So viel wollte ich dann andererseits aber für die Hochzeiter auch nicht ausgeben.
In der taz löst man das Problem einfacher – kollektiv: – alle armen Mitarbeiter geben Geld (10 bis 20 Mark), und ein Ideenreicher kauft dann das Geschenk ein. Zusätzlich wird noch eine kleine Stehparty an der Bar im Archiv ausgerichtet. Am Ende sind wahrscheinlich die beiden Dichter schneller geschieden, als ich mich entschieden habe. Womit das Problem meiner generellen Geschenkunfähigkeit aber noch nicht gelöst ist.
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