: Copy-Killing-Katastrophe-Verhinderungs-Kampagne
Der neuste Coup der Musikindustrie versucht das Bröckeln ihrer Fundamente aufzuhalten
Die Popmusik ist in höchster Gefahr. Von den Schmutz-Schund-Dschungelmusik-Kampagnen der 60er-Jahre bis zum unlängst drohenden „Genozid“ (H. R. Kunze) durch unzureichende Radio-Berücksichtigung deutschen Musikschaffens hat das populärste Kulturgut des späten 20. Jahrhunderts manch schlimme Unbill überstanden, nun aber bröckelt das Fundament: Der Nachwuchs ist bedroht!
Das liegt nicht etwa daran, dass in Deutschland Heerscharen stumpfer Industriedesign-Imitationskapellen von Terry Hoax bis Guano Apes seit zehn Jahren einen Stillstand auf niedrigstem Niveau garantieren, ganz im Gegenteil; die weitere Versorgung mit verkaufslistenkompatiblen Tote-Hosen- und Pearl-Jam-Klonen ist keineswegs so gesichert, wie man nach kurzem Einschalten eines der vielen tausend gleich formatierten Radiosender vielleicht glauben möchte.
Das Unheil steht in deutschen Wohn- und vielmehr Kinderzimmern: Dort werden seit Einführung der bespielbaren CD hemmungslos Erfolgsalben kopiert und damit der Musikindustrie Einnahmen in Millionenhöhe vorenthalten, die ihr zustehen und die sie auch braucht, um, wie man halt so sagt, „Talente zu fördern“. Zehntausend kopierte CDs, so teilt uns die eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufene Kampagne „Copy Kills Music“ mit, „vernichten eine Nachwuchsband“. Diese Idee ist nicht ganz neu: „Hometaping is killing music“, versuchte man uns schon vor Jahrzehnten einzubleuen, damit wir den gerade angeschafften Kassettenrekorder gefälligst nur noch zum Mitschnitt von Grußbotschaften und selbst produzierten Hörspielen verwendeten – ohne Erfolg auf beiden Seiten.
Die Millionen fließen nach wie vor, und der unerwünschte Nachwuchs ist offenbar auch mit noch so viel Kopieraufwand nicht wirksam zu beseitigen. Aber „Copy Kills Music“ ist guter Hoffnung, vernichtet ganze Serien von Nachwuchsbands durch Finanzierung doppelseitiger Anzeigen und unterhält eine eigene Internet-Seite (www.copykillsmusic.de), auf der sich neben kargen Slogans und einem „Game“ auch lange Listen unterstützender „Aktivisten“ betrachten lassen.
Eine dieser Listen mit der Überschrift „Die Journalisten/Medienpartner“ erregte das Interesse eines Münchner Musikredakteurs, der seinen eigenen Namen aufgeführt fand, ohne sich jemals eingetragen zu haben, noch dazu mit einer nicht existenten E-Mail-Adresse verbunden. Der aufgebrachte „Medienpartner“ setzte sich deshalb umgehend mit anderen „Aktivisten“ in Verbindung und stellte Erstaunliches fest: Kaum einer der in der Liste Genannten hatte eine Ahnung von seiner angeblichen Begeisterung für „Copy Kills Music“. Die Kommentare reichten vom schnauzigen „Das ist ja eine Unverschämtheit!“ bis zur flammenden Einforderung eines Mindestmaßes von Datenschutz.
Der Redakteur einer höchst bekannten TV-Nachrichtensendung, der unlängst einen Beitrag zu der seltsamen Aktion ausgestrahlt hatte, fürchtete gar um seinen Ruf, wenn herauskäme, dass er die Kampagne, über die er unparteiisch zu berichten vorgab, „aktiv“ unterstütze – woran er im Übrigen nicht im Traum denke.
Des Rätsels Lösung ist einfach: „Copy Kills Music“ unterhält auf seiner Website auch einen „nutzlosen“ (so ein „Aktivist“) „Medienservice“, zu dem man jedoch nur nach Anforderung eines „Passwortes“ Zugang erhält. Wer aber dieses Passwort (es lautet, wie sinnig, ckmmedien) anfordert, wird damit in Sekundenbruchteilen automatisch zum „Aktivisten“.
Da sich die für die Website zuständige Agentur MJM trotz einer Vielzahl von Beschwerden nicht in der Lage sah, diesen perfiden Mechanismus zu ändern, ist die Liste der „Copy Kills Music“-„Aktivisten“ mittlerweile zu einer Spielwiese für mehr oder weniger originelle Scherze geworden. „Helmut Markwort“ findet sich dort ebenso vertreten wie „Elias Arschkopf“, Elvis Presley (Redaktion Playboy), „Eugen Bauch“ („Hausschlachtung töten Fleisch“) und ein „Gremlin“ – neben jenen bedauernswerten Kollegen, die sich noch nicht von der Liste streichen ließen und nun inmitten schimpfender „Musikfans“ („Eure Aktion ist der letzte Dreck!“) und den frohen Botschaften ferngesteuerter Industriesklaven („Bitte hört auf zu brennen!“ oder „These fucky people should be killed!“) ganz hübsch blöd dastehen.
Eines immerhin bleibt uns vorläufig erspart: Intensivsten Bemühungen der Popindustriellen zum Trotz ist es noch nicht gelungen, „Aktivisten“ durch direkte „Verlinkung“ (P. Gauweiler) zu „Konsumenten“ zu machen.
Alice Almhirse
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