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KommentarDrei simple Fragen ■ Der Gesetzentwurf zur Zwangsarbeiterentschädigung

Endlich doch die gute Nachricht nach monatelanger Verhandlungsqual: Der Bund legt zu, die Vereinbarungen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter können unterzeichnet werden. Die Opfer aber sind nach wie vor weit von der sowieso nur symbolischen materiellen Anerkennung ihrer Leidenszeit entfernt. Sie wollen jetzt rasch Antwort auf drei Fragen: Wer bekommt wann Geld und auf welchem Weg? Diese drei Fragen hat das Bundesfinanzministerium in seinem Referentenentwurf auf eine Weise beantwortet, die bester deutscher Behördentradition würdig ist.

Was ursprünglich als humane, schnell greifende, großzügig zu handhabende Maßnahme gedacht war, verwandelt sich im Referentenentwurf zu einem Monstrum, dessen hauptsächliche Funktion, wie bei Monstern üblich, darin besteht, abzuschrecken, Mutlosigkeit zu verbreiten. Wird dieser Entwurf Gesetz, so kann die riesige Gruppe der LandarbeiterInnen jede Hoffnung auf Entschädigung fahren lassen. Wer unter Haft- oder haftähnlichen Bedingungen schuften musste, trägt die Beweislast. Wird die Auskunftstelle des Roten Kreuzes in Arolsen ihre durchschnittliche Bearbeitungszeit von zwei Jahren verringern, werden die Kommunen, die Krankenkassen ihre Archive in einem Tempo konsultieren, das der verrinnenden Lebenszeit der Antragsteller angemessen ist?

Wo man die Paragrafen des Entwurfs und seine Erläuterungen auch aufschlägt, überall dringt einem der Gestank kleinlicher Restriktion in die Nase. Ausschluss weiterer Ansprüche, Anrechnung bereits erhaltener Leistungen, viel zu kurz bemessene Antragsfristen. Der Kleinlichkeit verschwistert sich die Kontrollsucht. Und alles geschieht guten Gewissens, geht es doch um den Schutz deutschen Geldes vor Unterschleif und Korruption.

All jene, die sich in der Vergangenheit um eine großherzige Geste gegenüber den Zwangsarbeitern bemüht haben, die Bündnisgrünen beispielsweise, sind aufgefordert, sich von dem monströsen Entwurf zu distanzieren, und zwar nicht sotto voce, sondern in voller Lautstärke. Noch ist es nicht zu spät, eine Entwicklung nach unten zu korrigieren, an deren Anfang Bodo Hombach stand und am Ende der Referentenentwurf. Wenn schon deutsche Interessenvertretung, dann bitte nicht so kurzsichtig. Christian Semler

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