piwik no script img

Was rot ist, setzt sich durch

Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Von vielem hat man sich glücklich befreit, Weihnachten wird weiter gefeiert. Mit Lametta und Liedern und ausgeprägtem Konsumterror, ganz nach christlich europäischem Vorbild. Und wer bringt dort all die schönen, großen Geschenke? Ziemlich blöd, diese Frage, natürlich der Weihnachtsmann. Nachfrage: Wollen schwarze Kinder einen schwarzen Weihnachtsmann? Ein adventlicher Streifzug durch Johannesburger Shopping-Malls von Kordula Doerfler

Kleine weiße Elche drehen sich im Kreis. Aus dem Lautsprecher scheppert „Stille Nacht, heilige Nacht“. Immer beim letzten Akkord des Refrains leiert die Melodie. George zerrt an der Hose seines Vaters. „Daddy, pleeeaze, Papi, biiiiitte“. Einmal, nur ein einziges Mal möchte er mit dem Karussell fahren. Daddy gibt am Ende nach, entnervt von stundenlangen Einkäufen in überfüllten Kaufhäusern. Erschöpft lässt er einige riesige Tüten und Kartons auf den Boden fallen. George kräht vor Vergnügen, während er auf einem der weißen Holztierchen sitzt. Im Hintergrund dudelt jetzt „Jingle Bells“. George singt lauthals mit. „Daddy, was ist das für ein Pferd, so ein Pferd habe ich noch nie gesehen.“ Daddy muss passen, er weiß auch nicht, dass das Pferd ein Elch ist. Schließlich leben die am anderen Ende der Welt, da, wo es jetzt tiefer Winter ist.

Im Carlton Centre, einem teuren Einkaufszentrum in der Innenstadt von Johannesburg, muss Plastikschnee herhalten, um das rechte Weihnachtsgefühl herzustellen. Was macht es schon, dass kaum ein Südafrikaner jemals echten Schnee gesehen hat. Draußen ist Hochsommer, brennt die Sonne unbarmherzig vom Himmel. Der Weihnachtsmann ist groß, von Kopf bis Fuß in leuchtendes Rot gekleidet, das Gesicht hinter einem weißen Rauschebart kaum noch zu erkennen. In der Hand trägt er einen langen roten Sack. Manche Kinder fangen an zu weinen, wenn sie ihn sehen.

Daddy pleeeaze, darf ich eine Süßigkeit haben“, flüstert George. Ehe Daddy nein sagen kann, hat Christopher Vilakazi bereits einen Schokoriegel aus den Tiefen seines Sacks gezaubert. George ist endlich still. Für mindestens zwei Minuten. Andere Kinder zerren an den Händen ihrer Väter und Mütter, um auch eine Süßigkeit zu bekommen. „Er sieht zum Fürchten aus“, wispert Nomsa ihrer Mutter zu. „Warum ist er nicht weiß?“, fragt Paul. Paul selbst ist schwarz, wie fast alle Kunden im Carlton Centre.

Weiße Johannesburger trauen sich seit Jahren nicht mehr in die Innenstadt der größten Metropole südlich des Äquators. In der Mitte des Einkaufszentrums steht ein zwanzig Meter hoher Baum, geschmückt mit Kerzen, Lametta und bunten Kugeln. Darüber schweben, von der Glaskuppel herab, riesige Geschenkpakete mit bunten Schleifen. Der Baum ist so künstlich wie der Schnee, sieht aber täuschend echt aus. Davor ist eine kleine Bühne aufgebaut. Drei Weinachtsmänner spielen auf Blechinstrumenten europäische Weihnachtslieder, zum Steinerweichen falsch.

In den Wochen vor Weihnachten verdienen sie gut. Von morgens neun bis nachmittags um vier stehen sie im Carlton Centre, jeden Tag, und machen Kinder glücklich. „Ich liebe diesen Job“, sagt Christopher Vilakazi. „Es ist etwas ganz Besonderes, wegen der Kinder.“ Normalerweise hat er mal hier, mal da eine Aushilfsarbeit draußen in Soweto, Südafrikas größtem Township. In diesem Jahr hat ihm ein Freund den Job in der Stadt besorgt. Vilakazi ist 35. Einen Beruf hat er, wie viele Südafrikaner seiner Generation, nicht gelernt, seine Jugend war der Befreiungskampf. An Gott glaubt der überzeugte Kommunist trotzdem, an Weihnachten auch.

Weihnachten unterscheidet sich – mit Ausnahme des Wetters – nur wenig von dem in Europa. Die Einwanderer am Kap, die sich jahrhundertelang möglichst von den Schwarzen separierten, haben auch hier ihre Weihnachtsgebräuche zur Norm gemacht. Nicht nur mit der Architektur der Shopping-Malls hat man versucht, ein Europa im Kleinen in Afrika zu errichten, oft hoffnungslos künstlich und geschmacklos. Vor Weihnachten verwandeln sie sich regelmäßig in Disney-Worlds, die schwarze und weiße Südafrikaner gleichermaßen lieben.

Ein möglichst europäisches Weihnachten gilt als Zeichen, dass man es geschafft hat, aus der bitteren Armut herauszukommen. Weihnachten heißt in Südafrika vor allem Konsum, auch und erst recht für die schwarze Mehrheit. Große Geschenke sind ein Statussymbol, die Sammeltaxis brechen oft fast unter ihrer Last zusammen. Seit Wochen sind die Geschäfte mit den unvermeidlichen Attributen geschmückt, dudelt aus jedem Lautsprecher die bekannte Weihnachtsmusik. Nur die Schokolade muss an gut gekühlten Orten gelagert werden, sonst schmilzt sie, ebenso wie später die Kerzen am Baum.

Auf den Rolltreppen des Carlton Centre schiebt sich ein endloses Band von Menschen entlang, die Straßen in der Innenstadt sind überfüllt. Ganz Afrika kauft seit dem Ende der Apartheid in Johannesburg ein. Das Sprachengewirr ist international. Alle südafrikanischen Sprachen, dazu Portugiesisch, Französisch, breites nigerianisches Englisch. Erst in Kairo gibt es wieder ein ähnliches Konsumangebot. Reiche Angolaner und Kongolesen sind Stammgäste in den Luxusboutiquen, ganze Busladungen von ärmeren Weihnachtseinkäufern kommen aus den Nachbarhauptstädten Harare, Maputo und Lusaka. Selbst aus Nairobi reisen sie an, für umgerechnet knapp zweihundert Mark die einfache Strecke: vier Tage im Bus für einen Weg.

Afrikanische Weihnachten? Die Frage löst unter Südafrikanern unsicheres Kopfschütteln aus. Natürlich wollen schwarze Kinder auch schwarze Weihnachtsmänner. In einer Gesellschaft, in der die schwarze Mehrheit ständig bemüht ist, sich auf ihre von der Apartheid zerstörten afrikanischen Wurzeln zu besinnen, wäre das doch nur allzu normal. Christopher Vilakazi aber ist in Johannesburg, dessen Afrikanisierung die weiße Minderheit gern beklagt, eine Ausnahme. „Die Kinder wollen einen weißen Weihnachtsmann“, weiß George de Fourie, Manager von Highgate, einem gigantischen Einkaufszentrum weit draußen am Rande der Stadt. Gleich dahinter liegt Soweto, die Kunden in Highgate sind ausschließlich Schwarze. „Wir haben keine guten Erfahrungen mit schwarzen Weihnachtsmännern gemacht“, sagt de Fourie ganz im Vertrauen. Laut sagen darf er das nicht, sonst muss er sich womöglich gleich als Rassist rechtfertigen. Doch politische Korrektheit hin oder her: Die Weihnachtsdekoration ist überall gleich, und die Weihnachtsmänner sind überwiegend blütenweiß. „Was ist das für eine Frage, wie Jesus aussieht“, lacht der Weihnachtsmann Vilakazi. „Das spielt doch überhaupt keine Rollle. Wichtig ist doch nur, dass wir glauben.“

Die christliche Mission war gründlich in Südafrika. In weniger als hundert Jahren hat sie es geschafft, das riesige Land zu christianisieren. Die ersten Missionare kamen lange nach den ersten Siedlern ans Kap der Guten Hoffnung und begannen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Kampf um die verlorenen Seelen. Ihr Erbe ist heute allgegenwärtig, die ehemaligen Missionsstationen sind auch Orte, wo südafrikanische Geschichte geschrieben wurde. Heute sind fast achtzig Prozent aller Südafrikaner Christen, die überwiegende Mehrzahl Anglikaner, Katholiken oder Holländisch-Reformierte. Dazu kommen Lutheraner und Presbyterianer, Methodisten und Baptisten, Pietisten und Kongregationalisten – und die unabhängigen afrikanischen Kirchen. Die Vielfalt von Religionen ist noch größer als Südafrikas Sprachen- und Völkergemisch, und in der konfliktreichen Geschichte Südafrikas hat das Christentum eine zentrale Rolle gespielt.

Christliche Missionare waren nicht nur oft die Ersten, die etwa der heute fast ausgerotteten Urbevölkerung, den Khoi (damals allgemein Hottentotten genannt), gegenüber standen und profunde Kenntnisse über deren Leben nach Europa brachten. Christliche Kirchen standen auch auf beiden Seiten in der blutigen politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ohne die erzreaktionäre Niederländisch-Reformierte Kirche (NGK) wäre die Apartheid wohl kaum zur Staatsdoktrin erhoben worden, ohne die christlichen Kirchen wäre der Kampf gegen das Unrechtsregime weit weniger erfolgreich gewesen, ohne die Verbindung von christlichem und afrikanischem Denken hätte es eine Institution wie die Wahrheitskommission nicht geben können.

Der Sonntag ist bis heute in Südafrika heilig, in den Geschäften darf kein Alkohol verkauft werden, und noch vor wenigen Jahren waren Kinos und Theater geschlossen. Weihnachten indessen feiern sie alle, obwohl in den reformierten Kirchen und der Zionskirche, der größten afrikanischen Kirche, Ostern das höchste kirchliche Fest ist. Die Geschenke werden in Südafrika, ähnlich wie im ehemaligen Mutterland England, meist erst am 25. Dezember morgens überreicht.

Wortreich erklärt Vilakazi, wie seine Familie es mit Weinachten hält. In seinem winzigen Haus in Soweto kommt die ganze Familie zusammen. Er selbst ist Mitglied der Christlichen Zionskirche, die mehr als drei Millionen Mitglieder hat. Fast die Hälfte aller Schwarzen gehören einer der mehr als sechstausend unabhängigen afrikanischen Kirchen an, die oft Elemente des Urchristentums mit afrikanischen Riten und Ritualen und dem Glauben an die Ahnen verbinden. Den ganzen Ersten Feiertag verbringt man, wie auch sonst die Sonntage, in der Kirche. Oft ist das nur ein Baum unter freiem Himmel.

In Johannesburg kehrt unterdessen geradezu biblische Ruhe ein. Nie ist die hektische Stadt so ruhig wie während der Weihnachtsfeiertage. Das ganze Land ist in die Sommerferien verschwunden, hunderttausende von Landratten sind an die Küsten gepilgert. Jede Hundehütte in Kapstadt lässt sich um diese Zeit teuer vermieten, erst recht in diesem Jahr, in dem Kapstadt als eine der Top-Destinationen für den Millenniumswechsel gilt.

Während dort die Strände und Restaurants so voll sind wie die Costa Brava im Juli, herrscht in der Millionenmetropole fast dörfliche Stille. Die Luft verbessert sich schlagartig, die Geschäfte sind verlassen, und in die verwaisten Häuser wird so viel eingebrochen wie zu keiner anderen Jahreszeit. Es ist Weihnachten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen