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Die CDU wird zur 30-Prozent-Partei schrumpfen und gesundenVorhof zur Hölle

Seit dem 30. November geht die CDU durch den Vorhof zur Hölle. An jenem Tag hat Helmut Kohl seiner Partei und der Nation bekannt, dass er mit seinen schwarzen Konten jahrelang gegen die Verfassung und gegen das Parteiengesetz verstoßen hat. War schon die Vorstellung schwer erträglich, wie im Jahre 1991 zwei ehrenwerte Herren, CDU-Schatzmeister Kiep und Kohls graue Finanzeminenz Weyrauch, in einer Pizzeria ein Millionenköfferchen des Waffenhändlers Schreiber in Empfang nahmen, so brachten hinfort alle weiteren Enthüllungen nur noch mehr Schmach und Schande. Vom Bundesvorsitzenden bis zum kleinsten Ortsverband verschlug es den Mitgliedern der CDU die Sprache. Ihr Kanzler und Idol hat zwischen 1993 und 1998, wie er im Fernsehen eingeräumt hat, am Gesetz und an der Partei vorbei bis zu insgesamt zwei Millionen Mark in bar in Empfang genommen (im Kanzleramt?), und das alles, als eine andere Spendenaffäre, der Flick-Skandal, noch gar nicht richtig ausgestanden war. Jeder in der CDU weiß, dass die Dynamik der Entwicklung und der Enthüllungen noch gar nicht absehbar ist. Es fehlen Akten, im Kanzleramt und in der CDU. Je weniger Kohl sich äußert, um so wilder werden die Spekulationen. Nennt er die Spender nicht, weil es sie gar nicht gibt, jedenfalls nicht in der fraglichen Zeit? Altes Geld von alten Bekannten, zwischenzeitlich tiefgefroren in einem anderen Land? Das freilich wäre der Super-GAU für die CDU.

Was aber alles jetzt schon nur noch schlimmer macht: Von Reue zeigt der Ex-Kanzler keine Spur. Offensichtlich fehlt ihm jedes Unrechtsbewusstsein. Stattdessen gibt er so wehleidig wie selbstherrlich Auskunft, er habe doch nur seiner Partei gedient, die „Übermacht“ des Gegners (SPD und PDS) in den neuen Ländern brechen wollen. Wie will man (jungen) Leuten erklären, dass es Grenzen gibt und Gesetze, Formen und Sitten, wenn sie jetzt die Lektion hören „Der Zweck heiligt die Mittel. Um der Stärkere zu sein, ist vieles erlaubt“?

Es ist diese Erkenntnis, die die CDU bis ins Mark trifft: Da hat nicht einer einmal gegen das Parteiengesetz verstoßen. Es stürzt auch nicht nur ein Denkmal. Eine bürgerliche Partei droht ihren moralischen Kern zu verlieren. Und in Frage steht nicht nur der einstmals große Vorsitzende, sondern die gesamte Partei. Wer knapp fünfzig ist und in der CDU, hat nie einen anderen Vorsitzenden erlebt. Kaum ein Enddreißiger kann sich an einen anderen Kanzler erinnern. Sie alle verdanken ihm ihren Aufstieg: die Generation Schäubles, aber auch jene, die danach kommen. Zwei von ihnen, Volker Rühe in Schleswig-Holstein und Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen, könnten demnächst ihre Landtagswahlen verlieren. Und dann?

Schäuble, der Vorsitzende, und Angela Merkel, die Generalsekretärin, haben den Ernst der Lage erkannt. Lange haben sie das Unmögliche versucht: die CDU zu schonen und Helmut Kohl auch. Jetzt vollziehen sie das Undenkbare: den Trennungs- und den Schlussstrich zur Ära Kohl. In ihrem Beitrag für die FAZ empfiehlt die Generalsekretärin dem Ehrenvorsitzenden diplomatisch, aber deutlich, sich nun endlich und endgültig aus der Politik zurückzuziehen. Es ist eine Operation am offenen Herzen der Partei. Merkel spricht zur CDU wie eine Chirurgin nach dem Eingriff zu einem Patienten, dessen Überleben möglich, aber nicht sicher ist und bleibende Schäden nicht ausschließt. Aber sie macht auch Hoffnung: Das Leben ist eigentlich eine schöne Sache und eine politische Partei, moralisch wieder erholt und konzeptionell auf der Höhe der Zeit, nach wie vor ein spannendes Projekt.

Die CDU wird nicht den finanziellen Tod sterben, obwohl das Erbe Kohls teuer werden, eine zweistellige Millionensumme kosten kann. Ob sie politisch in alter Stärke überlebt, ist eine offene Frage. Durchaus möglich, dass einige sich lieber von der CDU trennen als von Kohl, dass seine Kraft noch im Zerstören groß ist. Bisher hat die CDU das Tabu nicht berührt, aus Angst, die Partei zu spalten, nicht vor der Wahl 1998, als es um einen anderen Kanzlerkandidaten, nicht nach der Wahl, als es um eine Analyse der Niederlage ging. Jetzt ist weder eine laute Spaltung noch eine leise Sezession auszuschließen. Wahrscheinlicher aber ist eine andere Perspektive. Die CDU wird Wähler verlieren und auf mittlere Sicht im „Dreißig-Prozent-Turm“ gefangen bleiben.

Warnfried Dettling

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