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Rüffeln, schmähen, dichten und über andre richten

Buch und CD würdigen pardon und Titanic. Wir würdigen endlich distanzlos mit

Das Blatt ist vollgestopft mit Text, Bild, Ton und Funk, gewürzt mit einem Hauch Fickrigkeit, Heiterkeit und Tralala

Ich bin bei Schuhmachermeister Hans Pommer in die Lehre gegangen. Neben dem Neuendettelsauer Haus meiner Großeltern lag – und liegt – seine hutzelige Werkstatt. Während der Schulferien lungerte ich an der Werkbank oft halbe Tage herum. Der Hans hockte links, schritt, wenn nötig, zur Schleif- und Schrubbmaschine, ein altes Paar Treter, „dies elende Glump“, zu traktieren, und ich tat nichts weiter, als zuzuhören – wie er die Kundschaft verfluchte, am liebsten zum Teufel und, betrat sie gar mal den winzigen Laden, durch die Tür gejagt hätte. „Die bleeden Hund mit ihrm Saugraffel, ihrm Gschmarri und ihrm ...“

Hans’ Mischung aus Ignoranz, provinzieller Vernageltheit einerseits, Wortbildungsmacht und anarchistischer Kraft andererseits wurde mir zum unverzichtbaren Freizeitprogramm. Der Laden war mein Schimpfbüro, Stätte der Propädeutik, jene Zeit dort ein angenehmer und anregender Aufenthalt. Die Dosierung der Sottisen und des ansatz-, ja anlasslosen Krachs konnte kaum hoch genug sein, und so schien ich bestens präpariert, als ich etwa 1983 das erste Titanic-Heft zu fassen bekam.

Ein Kumpel las MAD und das, glaube ich, seit jeher 66 Seiten starke Frankfurter Organ für, definieren Peter Knorr und Hans Zippert, die Herausgeber des neuen Jubiläumsbandes „Das dicke Buch Titanic“ (Elefanten Press), „Scherz, Satire, Ironie und schiefere Bedeutung“; und für, ergänzte bereits 1986 Hans Saalfeld, Editor der Sammlung „Briefe an die Leser“, „Rüffel, Verdächtigungen, Pointen, Beleidigungen, Unterstellungen, Bloßstellungen und aufrichtiges Lob“, also für sämtliche punktuell sonst nur qua konkret gepflegte und durch die Ernstel-, Erwägungs- und lachhafte Investigativpublizistik schamvoll gemiedene Frech- und Freiheiten.

Im November 1979 war die erste Nummer erschienen. Sieben Jahre später resümierte Saalfeld: „Der Titanic entging nichts: Jede mehr oder weniger öffentlich geäußerte Dummheit, Frechheit oder Klugheit in Wort, Bild oder Gesang lief Gefahr, kommentiert, zu Ende gedacht oder aus dem Zusammenhang gerissen zu werden.“ Das kam an. Ich stieß bei meinem Freund auf einen Brief z. Hd. Edmund Stoiber, dergestalt die CSU-Spitzenkraft ein – ungefähr – Arschloch und hinterfotziger Drecksack, ein Riesenlump und Megagauner sei. Und weil das nicht reichte, reichte die genialste Rubrik des bundesdeutschen Zeitungswesens folgenden Monats die Fortsetzung, ein Dementi, das artistisch in eine entfesselte Tirade überging, vor welcher selbst der Pommers-Hans erblasst wäre, hätte er sie zur Kenntnis genommen.

Rechtliche Konflikte zeitigten beide Texte m. W. nicht. Außer den Kirchen und soldatischen Irrläufern hielten und halten sich die reaktionären Fraktionen diesbezüglich zurück. Für bisweilen ruinöse gerichtliche Händel sorgten häufig die angeblich fortschrittlichen Vorzeigefiguren, die Labersäcke, die Gewissensträger vom Dummschlage Engholm und Kulenkampff oder irgendwelche Künstler- und Mediendarsteller. Eckhard Henscheids Serie „Erledigte Fälle“ z. B. spornte Elke Heidenreich wegen der fast milden Erwägungen betr. H. D. Hüsch zum halbwegs prominenten und dann auch wieder wider Willen aufklärerischen Stürmer-Verdikt an.

Polemik als Notwehr, Unabhängigkeit als stilistischer und zeitungspolitischer Grundsatz – Titanic musste gegründet und ein Gesellschaftermodell mit Sperrminorität installiert werden, da sich pardon-Verleger Nikel, schildern Chlodwig Poth und F. K. Waechter im Rahmen des wohltuend sachlichen und sorgfältig zeitgeschichtlich garnierten Hörbildes „Wenn du nicht aufhörst zu stinken, hau ich dir eine rein – 40 Jahre endgültige Satire aus Frankfurt von pardon bis Titanic“ (WortArt, 2 CDs), zu einem unerträglichen autoritären Gebieter entwickelt hatte.

Pardon verkaufte mal 300.000 Exemplare. Carl Amery beschied den „jungen Herren“ „intellektuellen Größenwahn“, Erich Kuby fluchte (bis er Beiträge lancierte). Orientierung boten nicht der Simplicissimus und die Fliegenden Blätter. Der New Yorker und der Comic standen Pate. Hier wurden, in Konkurrenz zu Wolfgang Neuss und der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, neue Formen erprobt, Cartoons erhielten Text, unsterbliche, stilbildende Verse entstanden: „Am Abend hilft die Jägerin / Dem Jäger in die Negerin.“

„In Deutschland reizt dieser Stil zur Abwehr, weil er die Freiheit des Geistes einfordert“, zitiert F. W. Bernstein gerne Adornos Traktat Der Essay als Form und meint das „intellektuelle Hallodria“, das er, Robert Gernhardt und Waechter zwischen 1964 und 1976 durch die legendäre pardon-Beilage „Welt im Spiegel“ bereiteten.

Die Abnabelung vom Kabarett war vollzogen, die vorsichtige Nähe zur Spaßguerilla evident, beherrschend das „Vergnügen an verlogenen Tonfällen“ (Waechter). 1978 nannte Gernhardt „Presse, Provinz, Werbung und Wahnsinn“ jene „unheilige Allianz, die ‚WimS‘ erst möglich und nötig machte“. Kurz darauf nagelte der erste Brief an die Leser die Maßstäbe fest: „Meine Herren vom Deutschen Presserat, (...) Sie sehen ja selbst, (...) das Blatt ist restlos vollgestopft mit Text, Bild, Ton und Funk, nur das Fernsehen fehlt, – (...) ein wahres Kompendium an Wissen, Bildung und sonstigen Kompensationsvorlagen, gewürzt mit einem Hauch Fickrigkeit, Heiterkeit und Tralala: Wenn Sie, Gentlemen, genau hinsehen, erkennen Sie sonder Mühe allerlei Witz, Satire, Ironie und tiefere Propädeutik (...) – kurz, recht eigentlich wollten wir halt die deutsche Presseszene überflüssig machen, ausradieren, compris?“

Der Terror hielt und hält an, „ein wenig herumgranteln in einer ohnehin grandiosen Zeit“ tut Titanic seit zwanzig Jahren tremolös und tumultuarisch, hymnisch und zäh (Kohl), fassungslos und aktionistisch (Gottschalk), Marken prägend (Birne) und lyrisch. Ermüdungserscheinungen angesichts der hiesigen „überschwenglichen Dummheit“ (Schopenhauer) sind unvermeidlich. Was aber bleibt wider den „Scheiß der Zeit“ (Gernhardt) und den „Schwundjargon“ (ders.)? „Wenigstens die Richtung ist jetzt klar: gegen“, so Gernhardt, ganz dem gottseigelobt ungebremst tätigen Kolumnisten Walter Boehlich verpflichtet.

Neben den Feldern Polemik und Attacke, „engagiertem Revolverjournalismus auf höchstem ethischen Niveau“ (Oliver M. Schmitt), freilich liegt das Riesenreich des Nonsens‘, der Erzählung, des komischen Gedichts, der liebevollen (Anzeigen-)Parodie, der klassischen Satire, der hohen Kunst des Zeichnens und Malens, der Bildgeschichten, „Beilagen“ (Sondermann!) und Fotoromane. Immer Schimpfbüro kann, darf nicht sein. Man möcht’ auch wandeln durch die Gärten der Lautlust, der Groteske und des endlich sinnfreien Unfugs, wo das Vogeltier nicht mehr länger die Frage sich gefallen lassen muss: „Großmacht Wachtel?“ – sondern der große F. W. Bernstein entscheidet: „Wär sie hunderttausend Russen / hätt den Vatikan zerschussen / und vom Papst befreit – ja dann: / Wachtel Wachtel Dschingis Khan! // Doch die Wachtel ist nur friedlich / rundlich und unendlich niedlich; / sie erweckt nur Sympathie: / Großmacht Wachtel wird sie nie!“

Jürgen Roth

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