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Addolf – jenseits der Audobahn

Zwischen Anschaulichkeit und Weltanschauung – eine Doku-Reihe seziert 55 Jahre alte Erinnerungen an Kriegsalltag und „Heimatfront“ (21.45 Uhr, ARD) ■ Von Monie Schmalz

Wer zu den paar Deutschen zählt, deren Familien nicht im Widerstand war, erinnert sich vielleicht mit Unbehagen an den Verwandtenbesuch, an Großtante Erna und ihren Geschichten aus Früher-war-alles-besser: Gratwanderungen zwischen bildreichen Schilderungen eines archaischen Alltags in einem Dorf in Oberhessen und dem nostalgischen Abgleiten in die Gegenwart, also zurück zur alten Leier mit Addolf und der Audobahn. Großtante Erna war ein winzig kleines volksschulgebildetes Rädchen in der arischen Herrenvolkfabrik, erleichtert und geschmeichelt, sich im Hitlerdeutschland zur so genannten Volksgemeinschaft zählen zu dürfen. Wäre sie nicht schon tot, hätte auch sie in der ARD-Serie „Heimatfront“ als Zeitzeugin auftreten können und ihre zwischen Anschaulichkeit und Weltanschauung schwankenden „Erinnerungen“ über den Kriegsalltag zum Besten geben.

Graumeliertes Erinnernan grauenhafte Fakten

Was sind die Erinnerungen dieser alten Leute als irgendwo in ihrem privaten Gedächtnis gespeicherte und ins Bewusstsein zurückgeholte Wahrnehmungen, die tausendfach vor sich selbst und einem übersichtlichen Zuhörerkreis wiederholt und mit dem Rohrstock aus Zurechtweisungen und Demokratiebelehrungen bearbeitet, von Rezessionen und Revolutionen der Nachkriegszeit ins Wanken gebracht worden sind? Die Impressionen der „Mitläufer“ jedenfalls, der ganz normalen Leute – Bäuerinnen wie Großtante Erna, Feuerwehrmänner aus Hamburg, Schüler aus Schwaben, Tischler aus dem Brandenburgischen, durch deren redliche Poren die so einleuchtende Indoktrination ins Blut drang – waren lange Zeit nicht gefragt im Angesicht des durchlittenen und bezeugten Leides der (aus jedweder Alltäglichkeit herausgehobenen) Opfer des Nationalsozialismus. Umso schwieriger ist es heute, die graumelierten, nach eigener Souveränität herumtastenden Erinnerungen der „willigen Vollstrecker“ in Einklang zu bringen mit der historisch verbrieften „Wirklichkeit“ – ihrerseits ebenso oft in öffentlichem Rahmen wiederholte Bilder und Dokumente, die hier zu Lande grauenhaft und unvergesslich die Wahrnehmung jener Zeit geprägt haben.

Die sechsteilige Dokumentation hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Interviews mit Zeitzeugen, von der ARD auch über Hörfunk und Zeitungen rekrutiert, werden zwischen zumeist filmische Dokumente aus der Nazizeit (Wochenschauen, Waffenfabriken, Konzentrationslager, Sportveranstaltungen) montiert. Doch so illustrativ die teilweise sogar unbekannten Archivmaterialien sind, so eindringlich und erschütternd die Berichte der KZ- und Gestapohäftlinge, der Kinder von hingerichteten „Volksverrätern“, und so mustergültig wieder einmal der Aufklärungspflicht gegenüber der ganz jungen und der ganz alten Generation nachgekommen wird, so ist das wirklich Herausragende an der Reihe – das Zu-Wort-Kommen einiger Vertreter der „schweigenden Mehrheit“, die unserem Bild der NS-Zeit neue und widersprüchliche Aspekte hinzufügen – im Grunde ein anderer Film.

Ein Schlüssel zur Erklärung des Unerklärlichen spiegelt sich in den Gesichtern und Gesten und in der je nach Bildungsstand beredsamen oder (wohl nicht nur auf die Interviewsituation zurückzuführenden) diffus-verschämten, mitunter geradezu treuherzigen Redeweise dieser älteren Leute. „Dass die vergast und verbrannt wurden, das war schon irgendwie schockierend, ganz klar“, sagt ein damaliger Schüler aus Berlin. Und die junge Oberhausener Laborantin der Ruhrchemie, die als Aufseherin des KZ Ravensbrück zwangsverpflichtet wurde, spricht unbeholfen schwärmerisch von den „wunderschönen Liedern“, die sie von den marschierenden Häftlingen gelernt hat, und bezeichnet derart deplatziert das „Herumstehen und Beobachten der Häftlinge“ als „so wat Blödes, da hätte man doch Handarbeiten machen können“, dass es einem mindestens genauso die Sprache verschlägt. Das ist der Text, eine Aneinanderreihung verfehlter, argloser, gestotterter Sätze, die Alltagsbeschreibung des alltäglichen Untertans, der das gedankenlose Schlittern in die Unmoralität und durch die Zielgerade einer vollendeten moralischen Unzulänglichkeit beschreibt.

„Das war toll!“ – langmütig in den Lebenslauf verwoben

An Einzelbeispielen wird hier ein Zustand dargestellt, dem bei aller verschwommen-verspäteten Reumütigkeit, Bestürzung oder Verunsicherung ein halbes Jahrhundert Aufklärungspropaganda nichts anhaben konnte. Nicht Entsetzen, sondern, so ist’s recht, Ergriffenheit hängt einem Ex-HJler nach, wenn er den Einmarsch von 60.000 Jungen und Mädchen ins Stadion – „Das war toll“ – erinnert. Die Gehirnwaschmaschinerie, nur von ARD (und Opferseite) konkret als „Terror“ bezeichnet, wirkt bis heute nach.

Eine aufwendigere Sezierung der Erinnerung dieser Zeugen, die die Katastrophe als business as usual erfahren und längst langmütig mit ihrem Leben verwoben haben, hätte das (nicht chronologische, sondern thematische) „Heimatfront“-Konzept sicher gesprengt; so oder so statuieren sie, im Jahr 55 nach Hitler, ein faszinierendes Exempel menschlichen Bevormundungsstrebens.

Alltagsthemen und Termine: Die Mobilmachung (6. 1.), Die Volksgemeinschaft (13. 1.), Die Arbeitsschlacht (20. 1.), Die Familie (27. 1.), Der Terror (3. 2.), Der Zusammenbruch (10. 2.); immer 21.45 Uhr, ARD

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