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Schönheit der Ellipse

Mit Kino meinte Robert Bresson die Reduzierung aufs Wesentliche: eine Retrospektive im Babylon Mitte ■ Von Andreas Eisenhart

Kinder streicheln einen jungen Esel, wollen ihn geschenkt bekommen. „Nein, das geht nicht“, sagt der Vater. Im nächsten Bild laufen Vater, Kinder und der Esel über die Wiese zum Dorf. So beginnt „Zum Beispiel Balthazar“. Zwischen den beiden Sequenzen ist etwas geschehen, das nicht gezeigt werden muss, weil es sich von selbst versteht. Ähnlich in „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“: Ein Gefangener wird in ein Zimmer gebracht. Mehrere Uniformierte, von denen einer eine Art Totschläger hält, gehen ebenfalls in das Zimmer. Im nächsten Bild wird der Gefangene bewusstlos und mit blutüberströmtem Hemd weggetragen.

Ob er die Geschichte eines Esels erzählt oder den „Prozess der Jeanne d'Arc“ beinahe dokumentarisch nachstellt; ob er die Fingerfertigkeit eines einsamen Taschendiebes schildert („Pickpocket“, 1959) oder die Winkelzüge einer verletzten Frau nachzeichnet, die sich rächen will („Die Damen vom Bois de Boulogne“, 1944): die dichte, elliptische Erzählweise ist typisch. (Deshalb wirkt es wie ein Schock, wenn das Prinzip einmal durchbrochen wird, wenn in „Lancelot“ einem Ritter im Zweikampf der Kopf abgeschlagen wird und aus dem Rumpf tatsächlich Blut strömt.)

Kein Bild steht für sich allein; jedes wird von den vorangehenden und den nachfolgenden Bildern beeinflusst. So wie die Farben auf der Leinwand sich gegenseitig beeinflussen und ein Gelb neben einem Blau anders wirkt als neben einem Rot. Deshalb hat Bresson alle seine Bilder auf das Wesentliche reduziert. Es gibt bei ihm kaum Totalen, stattdessen: Details, Fragmente, angeschnittene Körper, einzelne Gliedmaßen, Raumecken, Möbelstücke, Scherben und vor allem Hände, immer wieder Hände, die etwas ergreifen, etwas loslassen, etwas in andere Hände übergeben.

„Die Schönheit deines Filmes wird nicht in den Bildern sein, (...) sondern in dem Unsagbaren, das sie auslösen werden“, schreibt Bresson in seiner Aphorismensammlung „Noten zum Kinematographen“. Kinematograph – Bewegungsschreiber – hatten die Brüder Lumière den von ihnen erfundenen Aufnahme- und Projektionsapparat genannt. Bresson benutzt diesen Begriff, um sich vom gängigen Kino abzugrenzen, das sich darauf beschränkt, verfilmtes Theater zu sein.

Nicht nur die Bilder – und übrigens auch der Ton –, auch das Spiel der Darsteller, die Bresson Modelle nennt, ist auf das Wesentliche reduziert. Mimik und Körperhaltung sind möglichst neutral, ausdruckslos, ebenso wie die Stimme, die Bewegungen oft seltsam verlangsamt. Einem Betrachter, der das herkömmliche Kino gewohnt ist, mag das hölzern und naiv erscheinen. Doch Modelle spielen nicht, repräsentieren nicht, sie führen – ganz brechtisch – etwas vor: Handlungen, Haltungen, Gesten. Und das so klar und einfach wie möglich, ohne Schnörkel. „Ornament ist Verbrechen“, dieser Satz des Wiener Architekten Adolf Loos könnte das Motto Robert Bressons sein. Die Einfachheit in der Darstellung ist das Ergebnis einer langwierigen Arbeit. Bresson war dafür berüchtigt, dass er eine Szene dreißig oder vierzig Mal drehen ließ. Erst wenn Bewegungen und Dialoge der Modelle quasi automatisch kamen und nicht mehr von ihrem Willen kontrolliert wurden, war er zufrieden.

Den Konventionen der Filmindustrie sich derart konsequent zu verweigern hat seinen Preis. Fast jedem der der 13 Filme, die Bresson zwischen 1943 und 1983 gedreht hat, ging ein langwieriger Kampf ums Geld voraus. Keiner wurde ein Erfolg beim Publikum, und „Das Geld“, sein letzter Film, wurde 1983 in Cannes sogar ausgepfiffen. Doch jeder dieser Filme ist ein kleines Juwel, ohne das die Filmgeschichte ärmer wäre. Und der Einfluss Bressons, der sich einmal als „Einäugiger im Königreich freiwillig Blinder“ bezeichnet hat, auf andere Filmemacher ist bedeutend – zeitweise reichte er, dank dem Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader, sogar bis nach Hollywood: Das Ende von Schraders „American Gigolo“ zitiert die Schlussszene von „Pickpocket“, und „Taxidriver“ von Martin Scorsese, zu dem Schrader das Drehbuch geschrieben hat, steckt voller Anspielungen auf „Tagebuch eines Landpfarrers“ und „Pickpocket“.

Über sein Privatleben weiß man übrigens wenig. So diskret war er mit persönlichen Angaben, dass selbst in den Nachrufen zu seinem Tod im letzten Dezember als Geburtsjahr mal 1907, mal 1901 genannt wird. Paul Schrader hat ihn im Rahmen eines Interviews einmal fotografiert. Da hält Bresson einen Stuhl hoch, wie um sich dahinter vor der neugierigen Kamera zu verstecken.Retrospektive Robert Bresson. Bis 23. Januar im Filmkunsthaus Babylon.

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