Schriften zu Zeitschriften: Erklär mir Liebe
Ist Sex ein Geschenk? Hinweis auf die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“
Zwei vorwitzige rote Striche sorgen für einen Hauch von Dynamik auf dem Titelblatt. Ansonsten ist die Deutsche Zeitschrift für Philosophie – gelinde gesagt – zurückhaltend aufgemacht. Inhaltsangabe auf Seite zwei, danach folgt Text, Text, Text, eng gesetzt auf pro Ausgabe um die 180 Seiten. Hier soll nichts Grafisches vom zwanglosen Zwang des besseren Arguments ablenken, und das gehört sich für ein akademisches Periodikum ja auch so.
Inhaltlich aber geht es durchaus anders zu – gelegentlich sogar erfrischend unakademisch. Dafür sorgen allein schon die vielen amerikanischen Denker, die hier zu Wort kommen. Wer an den neuesten Entwicklungen in der amerikanischen Philosophie interessiert ist, kann sich mit der Lektüre dieser Zeitschrift häufig einen Wissensvorsprung erarbeiten. Größen wie Hilary Putnam, Richard Rorty und Charles Taylor sitzen (neben Karl-Otto Apel, Pierre Bourdieu, Dieter Henrich, Herbert Schnädelbach u. a.) im wissenschaftlichen Beirat; in der ersten Ausgabe des Jahres 1999 findet sich ein dreißigseitiges Interview mit Michael Walzer, einem der Chefs im Ring der gegenwärtigen gesellschaftstheoretischen Debatte. Selbstverständlich werden auch die großen deutschen Philosophietraditionen gepflegt, und dabei bemüht man sich um Produktivität sowieso und gelegentlich gar um einen originellen Witz: Folgten doch kürzlich direkt auf einen Abdruck von Adornos klassischem Aufsatz „Wozu noch Philosophie“ Barbara Merkers Anmerkungen mit dem Titel „Wozu noch Adorno?“ Außerdem bürgt die Mitherausgeberin Herta Nagl-Docekal – neben Axel Honneth, Hans-Peter Krüger und Hans Julius Schneider – dafür, dass sich die interessanten Ansätze der feministischen Philosophie hier entfalten können. Kurz: Eigentlich ist diese „Zweimonatszeitschrift der internationalen philosophischen Forschung“ – so der Untertitel – zu schade, um nur von Assistenten und Prüfungskandidaten gelesen zu werden. Aber das gilt ja überhaupt für das Fach Philosophie als Ganzes.
Unbedingte Themenrelevanz über den universitären Bereich hinaus ist bei der aktuellen Ausgabe vor allem bei ihrem Schwerpunkt zu melden. Er befasst sich mit dem Thema „Liebe und Verdinglichung“ und reagiert auf Arbeiten von Elizabeth Anderson und Jane Margaret Radin. Die beiden amerikanischen Philosophinnen haben in den vergangenen Jahren eine Position vorgelegt, die unmittelbare praktische Auswirkungen hätte: Weil sie sie für minderwertige, da verdinglichte Äußerungsformen der menschlichen Sexualität halten, plädieren sie dafür, die Praxis der Prostitution sowie die Möglichkeit der Leihmutterschaft staatlicherseits zu verbieten. Die Amerikanerin Martha C. Nussbaum, sicherlich eine der einflussreichsten feministischen Philosophinnen der letzten Jahre, sowie die Frankfurterin Angelika Krebs unterziehen im neuen Heft diesen Ansatz einer eingehenden Kritik. In ihr wird deutlich, worum es in der vor allem von Elizabeth Anderson entzündeten Verdinglichungsdebatte im Kern geht: nämlich um die Fragen, wie gleichberechtigte Liebespartnerschaften geführt werden können und sollen und welche Bedeutung die Liebe dabei spielt. Wer schon immer zumindest klammheimlich mal gedacht hat, dass man das Thema Liebe nicht allein den Schlagern und Schmonzetten überlassen sollte, findet hier interessantes Material.
Elizabeth Anderson bezieht sich auf den in ethnologischen Kontexten (Malinowski, Mauss) entwickelten Begriff des „Gift Exchange“, des Geschenkaustauschs also. Nur nach dessen Maximen – altruistisch, nicht berechnend, selbstlos – und eben nicht nach den Maßgaben eines interessegeleiteten Güteraustauschs sollen sich Liebesbeziehungen organisieren. Was dann nicht nur Prostitution und Leihmutterschaften ausschließt – der Tausch Geld für Geschlechtlichkeit ist in keiner Form zulässig –, sondern etwa auch Eheverträge und sogar überhaupt Fragen nach einem Interessenausgleich innerhalb von Partnerschaften. „Wenn die Liebe“, so erläutert Angelika Krebs Andersons Position, „anfange zu fragen, was sie zurückbekommt, sei das Ende der Liebe nicht mehr weit.“
Spätestens hier hakt Angelika Krebs ein. Ihr Hauptvorwurf gegen Anderson lautet, dass diese „alles, was Liebende mit- und füreinander ... tun, den Normen des Gift Exchange unterstellt, als ob Liebende nicht auch noch ,ganz normal‘ miteinander ... umgehen dürfen, etwa wenn es um den Haushalt oder die Kinderbetreuung geht“. Um Platz für Normalität in Beziehungen zu schaffen, drängt Angelika Krebs den Bereich der Liebe zurück und wendet sich in derselben Bewegung gegen Andersons Kritik an Leihmutterschaft und Prostitution. Im Zuge der amerikanischen Verdinglichungskritik werde, so Krebs, „eine partikulare Werthaltung, nämlich die gerade einmal zwei Jahrhunderte alte bürgerlich-romantische Vorstellung ehelicher und elterlicher Liebe, uns allen angedient“.
Für Krebs dagegen gibt es keine guten Gründe, Sexualität, Schwangerschaft und Elternschaft in allen Fällen an Liebe koppeln zu wollen. Und, hey, so etwas in einer Philosophiezeitschrift zu lesen ist doch mal was. Dirk Knipphals
Die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ erscheint im Akademie Verlag. Bestellungen an: R. Oldenbourg Verlag, Zeitschriftenservice, Postfach 80 13 60, 81613 München. Ein Jahresabonnement (6 Hefte) kostet 202 DM
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