Kommentar: Wer zerrt an der CDU? ■ Parteichef Schäuble zwischen Mitgliedern und Wählern
Was ist wohl Wolfgang Schäubles Lieblingsgericht? Götterspeise mit Schlagsahne vielleicht oder Spaghetti Bolognese? Die Rangliste seiner Lieblingsvokabeln ist jedenfalls kurz. Auf Platz 1 steht „Geschlossenheit“, die Nummer 2 belegt „Aufklärung“. Mit letzterer tut sich die Partei bereits leidlich schwer, und jetzt zerbröselt auch noch die hehre Einigkeit.
Nicht nur die Gerüchte um eine Intrige Helmut Kohls gegen die neue Parteiführung beunruhigen die Christdemokraten. Die CDU hat sich auf ihrer Klausurtagung nicht einmal einigen können, ob sie ihren Ehrenvorsitzenden künftig lieber verstecken oder vorzeigen will. Volker Rühe hofft, die Wahl in Schleswig-Holstein ohne Kohl-Auftritte zu gewinnen, Jürgen Rüttgers in NRW glaubt, der Einsatz des schwarzen Riesen würde ihm mehr nutzen als schaden. Parteichef Schäuble gab dieser Spaltung seinen Segen – und muss nun fürchten, ihr selbst zum Opfer zu fallen.
Wer das Schicksal der CDU eher mit kühlem Interesse verfolgt, kann die beiden Wahlen als Experiment betrachten. Die Strategien von Rüttgers und Rühe entsprechen genau den beiden Gruppen, die momentan an der CDU zerren: hier die Parteimitglieder, da die Wechselwähler. Rüttgers Linie spricht vor allem die Parteimitglieder an. Sie halten in ihrer großen Mehrheit unverändert am Patriarchen fest und sehen Vatermord gar nicht gern. Wenn die Parteiführung bis heute vor einem klaren Bruch mit Kohl zurückschreckt, dann nicht zuletzt, weil die Basis in Treue fest zu ihrem Altkanzler steht. Rüttgers kann sich also auf den offiziellen Parteikurs berufen – muss aber fürchten, kaum Stimmen außerhalb des CDU-Lagers hinzugewinnen zu können.
Rühe hat seit Beginn der Spendenaffäre so massiv in den Umfragen verloren, dass er alle seine Hoffnungen auf die Wechselwähler setzen muss. Um sie zurückzugewinnen, muss sich Kohls einstiger Generalsekretär von seinem früheren Feldherrn trennen. Wer ohnehin zweifelt, ob er diesmal CDU wählen soll, so Rühes Überlegung, will nicht den Kassenkanzler auf dem Ehrenschild sehen.
Es ist ein Experiment, bei dem ein Verlierer von vornherein feststeht: Wolfgang Schäuble. Selbst falls eine der beiden Strategien aufgeht, wird ihm der Misserfolg der anderen angelastet. Schließlich hat er sein Lieblingswort verraten: Geschlossenheit. Patrik Schwarz
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