piwik no script img

Pflichtschuldig: „Zutiefst verunsichert“

Christdemokratische Basis in Wandsbek lässt sich den Heringssalat vom Büffet schmecken und ist ansonsten gar nicht so richtig niedergedrückt wie gewünscht  ■ Von Peter Ahrens

Die Stimmung ist gut. Man lacht, das Bier kommt vom Fass, der Heringssalat ist lecker, und müde wirkt eigentlich nur einer. Ole von Beust hat rote Ränder um die Augen, der CDU-Fraktionschef befindet sich im Stafettenlauf von Mikrofon zu Mikrofon. Überall werden ein paar Sätze ins Mikro gesprochen, wie wichtig doch das Vorziehen eines Bundesparteitages wäre und dass ihm der Zustand der Partei Sorge bereite. Das Fernsehen wartet auch noch. Die CDU Wandsbek hat zum Neujahrsempfang geladen, und die Reporter sind vergeblich auf der Suche nach der Niedergeschlagenheit der Basis.

Hartmut Perschau hat zum Beispiel gute Laune. Der Wandsbeker, der so oft beim Versuch, Hamburger Bürgermeister zu werden, scheiterte, dass er es hernach in Bremen versuchen musste und seitdem als dortiger Senator firmiert, ist als Mutmacher aus der anderen Hansestadt gekommen. Mut macht vor allem Bewährtes, Lebensweisheiten also.

Perschau hat als „Ehrengast“ des Abends einen großen Koffer gepackt, hat da alle Sprüche hineingetan, derer er habhaft werden konnte, und packt den Koffer jetzt in Wandsbek aus. „Wo steht die CDU heute?“ ist sein Thema, und das beantwortet Perschau mit gutem Rat. Der frühere Berufssoldat empfiehlt, „in solchen Zeiten den Helm enger zu binden“, und eröffnet damit sein Kompendium an Kalendersprüchen zur Lage der Partei.

Das geht los bei „Was dem einen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall“, geht weiter mit „Wer von uns ist nicht sündhaft?“ über „Wer es allen recht machen will, macht am Ende gar nichts“ und „Die Menschen sind unterschiedlich, das darf uns nicht verdrießen“ und endet tatsächlich bei „Das Leben geht weiter, und es muss weiter Politik gemacht werden“.

Weil er aber dann doch nicht umhin kommt, den Namen Helmut Kohl einmal zu erwähnen, tut er es mit dem Hinweis, dass der Ehrengast beim Bremer CDU-Neujahrsempfang in der kommenden Woche Kohl heißen wird, und das ohne Wenn und Aber. Der Soldat Perschau steht in Treu und Glauben zum alten Chef: „Das System Kohl“ – da ist es endlich – „das System Kohl ist für mich das System deutsche Einheit und gemeinsames Europa.“ Das ist der Moment, in dem von Beust schon im Fernsehstudio von Hamburg 1 sitzt und sagt, welch „verheerende Auswirkungen das Verhalten Kohls auf den Zustand der Partei hat“. Vom Redner dieses Abends würde man so etwas nicht zu hören bekommen.

Da gibt es noch die Medien, in Scharen zum Neujahrsempfang gekommen – Perschau nimmt sie ins Gebet. „Den Wettbewerb an Sündhaftigkeit mit den Medien werden wir in der Union nicht gewinnen.“ Die sind es, die die Affäre zur Affäre machen. „Die Medien häufeln Entrüstungspotenzial auf.“ Denn: „Der, der am meisten häufelt, hat die Nase vorn.“ Das sichert entlastenden Beifall bei den Unionschristen. Endlich einer, der sagt, wie es ist: Wir sind gar nicht schuld, es sind die Journalisten, die uns prügeln. Perschau schaut ein bisschen strenge und sagt: „Hier findet ein Wettbewerb der Vorverurteilung statt.“

Anschließend hat er genug Gelegenheit, das den Medien in Einzelinterviews noch mal selbst zu sagen. Die nehmen das gern wahr und schwärmen ansonsten aus, um pflichtschuldigst „zutiefste Verunsicherung“ der Basis zu melden. Jeder Bezirksabgeordnete, der nicht schnell genug weglaufen kann, darf seine Meinung zu den Schäubles und Kohls der Öffentlichkeit anvertrauen. „Loyalität gegenüber einem Staat ist für mich immer höher als die Loyalität gegenüber einem Freund“ (Bezirksfraktionsmitglied Wolfgang Eggers). „Wenn bei einem Orchester die Harmonie nicht stimmt, ist der Dirigent gefordert“ (Bezirksvorsitzender Gerhard Fuchs). „Die Parteienfinanzierung in Deutschland ist ja ohnehin eine komplizierte Sache“ (alle im Chor).

Derartig die Seele gegenüber dem Reporter alias Beichtvater freigeredet, kann sich die Basis den Lachs vom Büffet schmecken lassen und wendet sich den wirklich wichtigen Themen zu: „Und was habt ihr an Silvester gemacht? Auch an der Alster gewesen?“

Ole von Beust sagt im Fernsehen: „Die Affäre hat die Partei wie ein Erdbeben erschüttert.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen