piwik no script img

Pampuchs TagebuchMit dem Benutzerobjekt im Weichbild

Meine gute Freundin R. lebt seit 15 Jahren in Gröbenzell vor den Toren Münchens. Sie hat ein rotes Ledersofa, einen schwarzen Flügel, einen munteren Sohn und einen süßen Kater. Dieser Tage feierte sie einen runden Geburtstag. Alles so weit prima, das einzige Problem mit R. ist, dass ihre hübsche Wohnung auf der kürzesten Route 19,6 km, auf der schnellsten 20,1 km und auf der optimalen (über die A 99) gar 33,4 km von mir entfernt liegt. Besucht man R. auf ihrem Außenposten der Zivilisation, verfährt man sich regelmäßig – erst auf dem Hinweg und dann noch mal auf dem Rückweg. Das Münchner Umland steckt voller Tücken, und gerade von meinen Ausflügen nach Gröbenzell weiß ich, wie passend der Begriff „Weichbild“ ist, mit dem wir jene ständig sich verformenden Wohngürtel bezeichnen, die unsere Metropolen umfangen. Bei jedem Besuch scheinen sie irgendwie neu geordnet, es ist, als kneteten unbekannte Mächte die Vororte samt der dazugehörigen Verkehrsführung regelmäßig um.

Nun aber ist endlich kompetente Hilfe da. Die Langenscheidt-Verlagsgruppe hat den „Großen Polyglott Autoatlas 2000/2001“ herausgebracht, dem freundlicherweise auch die CD-ROM „Routenplaner Deutschland“ beigelegt ist. Dabei handelt es sich zwar nicht um jenes Navigationsinstrument, das betuchte Autofahrer per Ansage zu ihrem Bestimmungsort lotst. Doch die Polyglott-CD erlaubt auch dem gemeine User eine ernsthafte und gründliche Vorbereitung von Expeditionen in die Grüne-Witwen-Höllen dieser Republik. Sollte es mir gelingen, erstmals pünktlich bei einer Geburtstagsfeier von R. zu erscheinen?

Es liegt sicher an mir, dass es eine Stunde dauerte, bis ich mich mit dem Bermudadreieck aus „Datenbankfenster“, „Routingfenster“ und „Vektorkartenfenster“ halbwegs vertraut gemacht hatte. Es braucht eben ein bisschen Zeit, bis man die digitale Verarbeitung von 62.333 deutschen Ortsmittelpunken geistig bewältigt (Das mit den „Benutzerobjekten“ und der „Geocodierung“ habe ich immer noch nicht begriffen.) Aber dass man auf der Karte wie wild rumzoomen kann, bis man wirklich jede Gasse wie ein Spatz vom Dach sehen kann, ist schon grandios. Nachdem es mir schließlich gelungen war, meine und R.s Adresse als Ausgangs- und Zielpunkt ins „Routingfenster“ zu draggen und dort zu droppen, schnurrte die CD wie R.s Kater:

Zum ersten Mal in meinem Leben lagen die geheimnisvollen Verbindungen zwischen Schwabing und Gröbenzell offen vor mir: Blau für die schnellste, Rosa für die kürzeste und Grün für die optimale. Lange Listen zeigten mir jede Straße auf dem Weg, jede Richtungsänderung, jede Abschnittslänge und jede Fahrzeit für die Abschnittslänge. Ich erfuhr den jeweiligen Straßentyp, ich konnte die Stationen auf der Karte anklicken, in der „Routenstatistik“ wurden mir für jede Strecke der Benzinverbrauch, die Kilometerpauschale und der prozentuale Anteile der Straßentypen mitgeteilt. Als ich die Routen ausdruckte, bekam ich 12 Seiten Karten und Listen. Ich wusste alles.

Wir fuhren mit drei Autos in Kolonne zur Feier nach Gröbenzell. Ich saß als Navigationsoffizier im ersten Wagen. Es war dunkel, als wir die A 9 verließen, kein einziges Straßenschild war beleuchtet. Wir verfuhren uns dreimal und schafften es nur, weil ich, meines Postens enthoben, dann nach Gefühl navigierte. Die Feier war sehr schön, und auf der Rückfahrt orientierten wir uns an den Lichtern der Großstadt. Im Sommer zieht R. in Münchens „Quartier français“ Haidhausen. Die kürzeste Route zu ihr ist dann 5,3 km lang, und der Benzinverbrauch liegt bei DM 0,79. Es soll nur „8 min“ dauern. Die Zeit am Routenplaner nicht gerechnet.

Thomas Pampuch

thopampuch@aol.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen