Schnittplatz: Pacmans bunte Welt
Wer auf der Fernbedienung die Videotext-Taste drückt, tut dies aus Versehen. Dachte ich. Niemand setzt sich freiwillig brutaler, bildschirmfüllender Blockgrafik aus. Niemand begibt sich freiwillig in Pacmans Welt. Dachte ich, wie gesagt. Doch nach Angaben von Interactive Media, dem größten Teletext-Vermarkter, gibt es rund fünf Millionen überwiegend junge Zuschauer, die sich für Sport, Nachrichten und Programmtipps interessieren – und tatsächlich Teletext nutzen.
Ihre Zukunft findet auf Seite 388 statt – im ZDF-Text. Der ist neu und wird seit Jahresbeginn getrennt von der ARD veranstaltet. Das ist besser fürs Prestige, findet das ZDF. „Das ist alles viel zu bunt“, findet Alexander Kulpok. Den ehemaligen Leiter des Gemeinschaftstextes von ARD und ZDF stört außerdem, dass hier der Sport zu kurz kommt und zu „gesellschaftlich relevanten Themen“ kein Wort fällt.
Dafür erfähren Nutzer auf Seite 388 alles über ihre Zukunft. Doch schnell einmal hinzappen ist nicht. Teletext-Nutzer haben Zeit. Viel Zeit. Und wer beim Warten von der eigenen Zukunft noch nicht eingeholt wurde, darf mit dem Orakel sprechen – schon für wenige Mark pro Minute, nach telefonischer Anwahl einer 01 90-Nummer.
„Zum Teil sind die Leute geschockt“, berichtet Emmanuel Heyd, Redaktionsleiter des ZDF-Teletext. Vor allem wegen der – nicht immer sauber davon getrennten – Werbung fordern „viele, gerade ältere Zuschauer: Gebt uns den alten Videotext wieder!“, beklagt Heyd.
Ebenso auffällig wie die Werbung sind die schlecht gemachten Nachrichten. Was im ZDF-Text unter „Magazin“ firmiert, wirkt nicht nur wenig aktuell, sondern auch verdammt kurz. Andere Redaktion verbuchen das unter Schlagzeilen. Zum Glück wartet auf Seite 180 der zehnsätzige „Hintergrund“.
Und während ich wieder einmal beschwörend den Seitensuchlauf-Score anstarre, wünsche ich Pacman herbei. Friss, Pacman, friss die Blockbuchstaben! Dann drücke ich wieder auf die Videotext-Taste. So gar nicht aus Versehen. Jan Rosenkranz
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