piwik no script img

Schießen für die Karriere

Während in Deutschland Frauen nun Dienst an der Waffe leisten dürfen, ist Israel schon weiter. Hier sind Frauen seit Beginn des Jahres den Männern in der Armee in sämtlichen Bereichen gleichgestellt. Damit ist eine neue Diskussion entbrannt: Erlangen Frauen nur dann mehr Gleichberechtigung in der zivilen Gesellschaft, wenn sie auch in der Armee gleichberechtigt sind? Von Susanne Knaul

Zwei Tage vor ihrer Rekrutierung rasiert sie sich den Kopf. Sheli Gil, 21, seit Februar 1998 im Dienst des israelischen Grenzschutzes. Verantwortlich für den neuen Haarschnitt war ein Film: „G.I. Jane“, in dem Demi Moore die quälerische Ausbildung in einer amerikanischen Marineeinheit durchmacht. Die Ähnlichkeit zwischen der Frau im Film und der Soldatin beim israelischen Grenzschutz ist nicht zu übersehen: der kahle Kopf, die Uniform, die Art zu reden, die Bewegungen. Viel an Weiblichkeit ist nicht zu erkennen. „Ich wusste schon lange, bevor der Film in den Kinos lief, dass ich mich zu einer kämpfenden Einheit melden würde“, sagt Sheli Gil.

Der israelische Grenzschutz war die erste Einheit, die Frauen in kämpfenden Einheiten zuließ, was nicht bedeutet, dass hier anzügliche Witzeleien ausblieben. „Es gehört nun einmal dazu“, sagt die Soldatin lakonisch – die Kameraden, die sich über ihr burschikoses Aussehen lustig machen, die Kameraden, die sie eine Lesbe schimpfen. „Mein Privatleben geht niemanden etwas an“, sagt sie. In der Einheit sind außer Sheli Gil nur noch drei weitere junge Frauen.

„Extraterritorial“ steht an den Schlafräumen der Soldatinnen. Sheli Gil schnallt ihre M-16 um die Schulter, rückt die Kappe zurecht und macht sich auf zu ihrem nur einige Meter von den Schlafräumen entfernten Einsatzort: Ein Straßenkontrollpunkt zwischen dem Westjordanland und Israel. „Es ist nicht ganz so aufregend, wie ich es mir vorgestellt hatte“, meint Sheli Gil. Täglich acht Stunden steht sie mit ihren Kameraden an der Straße, stoppt die Autos mit palästinensischer Nummer, kontrolliert Papiere. Die inzwischen zum Feldwebel avancierte Soldatin übernimmt bisweilen die Aufgaben einer Kommandantin. An Respekt der anderen ihr gegenüber mangelt es nicht, und das, obschon sie fast einen Kopf kleiner ist als ihre Kameraden. Ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken reicht, einen zweiten Soldaten aufspringen zu lassen, um den Inhalt eines Lastwagens zu überprüfen.

Die Soldatinnen beim Grenzschutz sind bis auf wenige Ausnahmen die einzigen Frauen, die in so genanntem Feindesland Einsatz tun, etwa, wenn Verdächtige verfolgt werden müssen. Die meisten Frauen in kämpfenden Einheiten leisten bislang eher hinter der Frontlinie ihren Dienst – vor allem als Ausbilderinnen. Sie trainieren den Nachwuchs im Gebrauch von Maschinengewehren, im Nahkampf und am Panzersimulator. Der eigene Einsatz im Ernstfall blieb ihnen verwehrt.

Und das, obschon Frauen bereits kämpften, als es Israel noch gar nicht gab. Das Gesetz, das Frauen sowohl den Einsatz in kämpfenden Truppen als auch an der Front untersagte, wurde 1948, unmittelbar nach der Staatsgründung, geschrieben. Über Jahrzehnte hielt sich der unbestrittene Konsens eines Ja zum Dienst der Frauen, aber eines Nein zum Einsatz in Kampftruppen. Die Soldatin galt als wehrloser und verletzlicher. Die Gesellschaft reagiere empfindlicher, wenn einer Frau etwas zustoße. So blieben Soldatinnen in der Regel in den Büros, sorgten für die Verwaltung, die Wäsche und stets heißen Kaffee für die männlichen Offiziere.

Der schrittweise Vormarsch der Feministinnen in Uniform führte vom Einsatz von Frauen beim Grenzschutz über den Einsatz bei Panzerbrigaden und Marine bis hin zur Luftwaffe, bei der sich im letzten Jahr zwei Frauen zu Navigatorinnen ausbilden ließen. Inzwischen sind die ersten Soldatinnen im Pilotentraining. Damit können Frauen nun auch Berufspilotin bei der El Al werden – die israelische Fluglinie stellt nur Abgänger der Luftwaffe ein.Nun scheint der Marsch geschafft. Anfang Januar verabschiedete die Knesset in dritter Lesung einen Gesetzentwurf, der die volle Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Armeedienst vorsieht – zumindest auf dem Papier. Damit sind ranghohe militärische Positionen auch für Frauen nicht mehr unerreichbar: Wann immer Beförderungen anstehen, bekommt in der Regel derjenige den Vortritt, der an der Front war.

Frauen gehören nicht an die Front“, sagt Neomi Ktina über die revolutionäre Gesetzesreform. Das Urteil der alten Frau kommt überraschend, immerhin verbrachte sie selbst viele Monate im Kriegsgebiet, tötete Menschen und hat Kameraden sterben sehen. Die heute Siebzigjährige war Mitglied der Hagana, einer paramilitärischen Organisation, aus der nach Staatsgründung die israelische Verteidigungsarmee Zahal wurde. Neomi Ktina erinnert sich an Kameradinnen, die in Geiselhaft fielen und „furchtbar gequält wurden“. Dass auch Männer gefoltert und getötet wurden, sei „eben nicht zu vermeiden“.

Schon in der Schule lernten die Jungen und Mädchen, die sich zur Hagana gemeldet hatten, ohne Unterschied den Umgang mit Walkie-Talkies und den Nahkampf. Neomi Ktina erinnert sich mit Stolz an diese Zeit. Die Kinder wurden zum Ankleben von Protestplakaten gegen das Weißbuch des britischen Mandats eingesetzt, das die Einwanderung von Juden nach Palästina beschränkte, und sie organisierten Ablenkungsmanöver, wenn Schiffe mit illegalen Immigranten landen sollten.

Wirklich ernst wurde es für Neomi Ktina und ihre Kameraden erst im so genannten Unabhängigkeitskrieg, unmittelbar nach der UNO-Entscheidung zur Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat.

„Ich bekam Männerschuhe, in die ich Zeitungen stecken musste, um nicht darin herumzurutschen“, sagt die Hagana-Veteranin. Ihre Gruppe wurde nach Jerusalem geschickt. Zu den Operationen gehörten Belagerungen, Razzien in arabischen Dörfern, Sprengungen von feindlichen Kampf- oder Waffenstationen und Überraschungsangriffe. Angst vor Geiselhaft hätte sie nicht gehabt. „Beide Seiten machten in der Regel keine Geiseln“, sagt sie. „Wenn wir eine Kaffeebüchse voller Ohren gefunden haben, dann töteten wir eben auch.“ Sie selbst habe immer Gift in der Tasche gehabt, das ihr vorsichtshalber ein guter Freund besorgt hatte. Ob das Töten für sie als Frau schwerer gewesen sei? „Nein, es war für die Männer genauso schwierig“, sagt sie. „Wir waren alle gleich.“

Vier Jahre nach dem Krieg heiratete Neomi Ktina. Sie stellte zwei Bedingungen an ihren Mann: „Ich wollte weiter rauchen und ich wollte arbeiten.“ Die Zigarettensucht ist sie bis heute nicht losgeworden. Im zivilen Beruf strebte jedoch die einst so gleichberechtigte Kämpferin und Kommandantin keine Führungsposition mehr an. Als ihre Kinder allein zurecht kamen, wurde sie Sekretärin in einem Regierungsamt. Eine gepflegte Dame: Lippenstift, Ohrringe und an fast jedem Finger einen mit Edelsteinen besetzten Ring. „Eine Frau ist eine Frau“, sagt Neomi Ktina, deshalb sollte sie sich auch wie eine benehmen.

Dass die Frauen Dienst in der Armee tun, findet sie richtig, „aber es muss doch nicht gerade im Libanon sein“. Natürlich gehörten viel mehr Frauen auf hohe Positionen, vor allem in die Regierung, wo heute nur zwei Ministerinnen sitzen. Eine Verbindung zwischen den Aufstiegschancen im bürgerlichen Leben und der vorherigen Armeelaufbahn will Neomi Ktina indes nicht wahrnehmen. Es habe in sämtlichen Regierungen nur einen einzigen richtigen Mann gegeben, scherzt sie, „der hieß Golda“.

Tatsächlich scheinen die beiden Frauen in puncto Emanzipation eine ähnliche Haltung zu haben. Auch die legendäre Premierministerin Golda Meir hat den Feministinnen nicht geholfen, als sie gleiche Aufgaben wie die Männer in den Kibbuzim forderten. „Ich weiß gar nicht, was ihr wollt“, soll Golda Meir vor einer Frauenversammlung gesagt haben. „Ist es vielleicht weniger ehrenvoll, Menschenkinder zu füttern als Kuhkinder?“

Das Phänomen von scheinbar emanzipierten Frauen, die sich zu schlimmeren Chauvinisten entwickeln, als es ihre männlichen Kollegen sind, existiert offenbar auch unter Kämpferinnen. Israelische Soziologen berichten von Frauen in Uniform, die sich über ihre „verweichlichten und faulen“ Geschlechtsgenossinnen belustigen. Und die Frage, ob eine gleichberechtigte Aufgabenverteilung in der Armee Voraussetzung für Gleichberechtigung in der zivilen Gesellschaft ist, gerät unversehens zur feministischen Kontroverse.

„Solange Ex-Generäle das Land regieren, haben die israelischen Frauen keine andere Wahl, als die geschlechtsspezifischen Grenzzäune im Militär einzureißen“, meint Amiya Leiblich, Professorin am Institut für Gender Studies an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Im Gegensatz dazu findet die Friedensaktivistin Yvonne Deutsch diese Argumentation absurd. Deutsch war Mitbegründerin der israelischen Gruppe „Frauen in Schwarz“ – die sich für ein Ende der Besatzung im Westjordanland einsetzte. „Die Idee, dass Frauen, dadurch dass sie Granaten im Libanon abwerfen, mehr Gleichberechtigung bewirken, ist krank.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen